Was man am Anfang über das Coronavirus wusste, ließ sich im Prinzip auf zwei wichtige Punkte reduzieren: Der Erreger war hochansteckend und potenziell sehr tödlich. Aber im Lauf der Monate gelang es, immer mehr über die Funktionsweise des Virus zu lernen. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der Impfstoffe gegen das Coronavirus.
Aber trotz dieser oft sehr effizienten neuen Waffe im Kampf gegen das Virus starben weiterhin Menschen. Selbst Menschen, bei denen man eigentlich davon ausgegangen war, dass sie so gut wie möglich geschützt waren. Gerade in Alten- und Pflegeheimen kam es trotz systematischer mehrfacher Impfungen und zusätzlicher Schutzmaßnahmen immer wieder zu größeren Ausbrüchen - unter anderem im Sommer 2021 in Einrichtungen in Lüttich, Nivelles und Zaventem.
In diesen Alten- und Pflegeheimen starben letztlich zwischen 20 und 35 Prozent der infizierten Corona-Patienten, und das obwohl fast alle doppelt geimpft waren. Besonders ein Umstand bereitete den Gesundheitsbehörden dabei Kopfzerbrechen: In jedem der drei Infektionsherde war eine andere Variante dominant. Eine davon, die sogenannte "Mu-Variante", war damals zwar als "Variante von Interesse" eingestuft, galt aber - ausgehend von anderen bekannten Fällen - nicht als ausgesprochen gefährlich.
Es sei eine Überraschung gewesen, dass diese eher harmlos geltende Variante in den betroffenen Alten- und Pflegeheimen zu so vielen Todesfällen geführt habe, so der Immunologe Johan Van Weyenbergh vom Rega-Institut der KU Leuven. Man habe wirklich eine Erklärung dafür finden wollen, deswegen habe man nach Gemeinsamkeiten gesucht zwischen den Fällen.
Protein namens Beta-Interferon
Schließlich sind die Forscher unter anderem der Universität und des Universitätskrankenhauses Löwen dabei fündig geworden. Eine vergleichende Analyse der Nasenabstriche der Patienten lenkte die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler nämlich auf ein bestimmtes Protein namens Beta-Interferon, ein Körpereiweiß. Man habe dieses Protein schon lange gekannt, so Immunologe Van Weyenbergh in der VRT. Denn eigentlich handelt es sich dabei um einen Botenstoff des Immunsystems, ein sogenanntes Zytokin, das den Körper gegen Viren schützt.
Nur dass es das leider und für die Wissenschaftler überraschenderweise in den untersuchten Fällen nicht mehr getan hat. Im Gegenteil. Das Protein sorgt bei einer Corona-Infektion dafür, dass das Immunsystem außer Kontrolle gerät. Die Folge: Eine Entzündungsreaktion im Körper des Patienten. Entscheidend für den weiteren Verlauf beziehungsweise das Ausmaß dieser Entzündungsreaktion sei dabei die Konzentration des Proteins gewesen, so Van Weyenbergh. Je mehr Beta-Interferon der Körper der infizierten Patienten produziert habe, desto geringer ihre Überlebenschance.
Es bleibt abzuwarten, was die Untersuchungen in Zukunft noch ans Tageslicht bringen werden. Für den Augenblick könnte sich das Protein aber möglicherweise als wichtig erweisen, um die Gefährdung beziehungsweise die Überlebenschancen von Corona-Patienten besser einschätzen zu können.
Boris Schmidt