Wie viele Menschen rund um die 3M-Fabrik in Zwijndrecht letztlich von der PFAS-Verunreinigung betroffen sind, ist noch immer schwer zu sagen. Aber selbst vorsichtige Schätzungen gehen von Zehntausenden Menschen aus, die im Lauf der letzten Jahrzehnte der Chemikalie ausgesetzt gewesen sind und sie über die Umwelt aufgenommen haben.
Um endlich ein klareres Bild vom Ausmaß der PFAS-Verseuchung zu bekommen, läuft seit Montag nun eine breit angelegte Studie. Menschen im Umkreis von fünf Kilometern um die 3M-Fabrik sind aufgerufen, kostenlos ihr Blut auf die Anwesenheit von PFAS untersuchen zu lassen. Die Rede ist schon jetzt von der größten jemals in Europa durchgeführten PFAS-Blutuntersuchung. Und dabei haben sich bisher nur etwa 9.000 Menschen für einen Test angemeldet – berechtigt wären aber um die 75.000. Neue Anmeldungen sind aber noch bis mindestens Anfang Juli möglich. Es ist also davon auszugehen, dass die Zahl der Anmeldungen noch steigen wird.
PFAS ursächlich für hohen Blutdruck und hohe Cholesterinwerte?
Mit einer einfachen Blutabnahme und dem Warten auf das Ergebnis ist es aber nicht getan, wie Lien Thoelen von der flämischen Gesundheitsagentur in der VRT erklärte. Die Agentur hat die Studie in Auftrag gegeben. Die Menschen bekämen auch Fragen zu ihrem Lebensstil und zu ihrer Gesundheit gestellt, also beispielsweise, ob sie unter hohem Blutdruck oder hohen Cholesterinwerten litten. Denn medizinische Studien haben schon in der Vergangenheit nahegelegt, dass es zwischen hohen PFAS-Konzentrationen im Körper und diesen Gesundheitsproblemen einen Zusammenhang gibt.
Man wolle diesen Faktoren mit der neuen Studie nachgehen, so Thoelen, um zu sehen, ob man einen entsprechenden, wissenschaftlich belastbaren Zusammenhang bestätigen könne. Und das ist der entscheidende Punkt: Wissenschaftlich belastbare Ergebnisse auf Basis möglichst vieler Daten. Denn die bisher gemachten Tests waren zu begrenzt, um allgemeinere Schlussfolgerungen über die Schädlichkeit von PFAS ziehen zu können. Anders gesagt: Es scheint zwar sehr klar, dass PFAS gesundheitliche Schäden hervorrufen kann, also unter anderem Leber, Schilddrüse, Immunsystem und Hormonhaushalt beeinträchtigen kann. Aber wichtige Details fehlen noch: Also beispielsweise, in welchem Alter diese Schäden auftreten können, unter welchen Umständen, in welchen Bevölkerungsgruppen, und ganz wichtig: ab welchen PFAS-Konzentrationen im Blut. Denn so lange sich ein Zusammenhang nicht eindeutig belegen lässt, kann der Verursacher der Verunreinigungen, der 3M-Konzern, versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Bisher beharrt 3M nämlich darauf, dass es nicht nachgewiesen ist, dass PFAS tatsächlich zu Gesundheitsschäden führt.
Bürgerkollektiv hofft auf Sammelklage gegen 3M
Dass das in Zukunft für 3M nicht mehr so einfach wird, ist natürlich auch für die betroffenen Bürger vor Ort von Interesse, insbesondere vor dem Hintergrund eines möglicherweise wegweisenden Urteils, das das Antwerpener Friedensgericht letzte Woche gefällt hat. Trotz aller Bemühungen von 3M, das Verfahren einstellen zu lassen, hat das Gericht den Konzern zur Zahlung einer vorläufigen Entschädigung verdonnert an eine Familie, in deren Blut enorm hohe PFAS-Konzentrationen festgestellt worden waren.
Das ist ein Präzedenzfall, auf den sich nun ein lokales Bürgerkollektiv für eine Massenklage gegen 3M vor dem Friedensgericht berufen will. Das Ziel sei, möglichst viele betroffene Parteien für eine Sammelklage zusammenzubekommen, so Kurt Verstraete vom Bürgerkollektiv "Darkwater 3M", der in besagtem erstem Prozess zumindest vorläufig gegen 3M triumphiert hat. Durch eine Bündelung der Kräfte steige die Chance, 3M an den Verhandlungstisch zu zwingen, so Verstraete sinngemäß. Und dann könne über einen finanziellen Vergleich gesprochen werden als Schadenersatz für die PFAS-Verunreinigung. Weigere sich 3M, auf einen Vergleich einzugehen, dann könne die Sache natürlich vor Gericht gehen. Das sei dann zwar komplex, aber nicht unmöglich, wie sein erster Prozess gezeigt habe.
Boris Schmidt