"Rerum Novarum" - die CD&V berief sich auf den Begriff, die marxistische PTB ebenso. Und der PS-Vizepremier Pierre-Yves Dermagne zitierte sogar den vollständigen Titel. Gemeint ist damit die berühmte Enzyklika, die von Papst Leo XIII. am 15. Mai 1891 veröffentlicht wurde. Grob gerafft war das der Startschuss für die christliche Arbeiterbewegung. "Rerum Novarum", mit diesen neuen Dingen waren die neuen Verhältnisse gemeint, die durch die Industrielle Revolution entstanden waren. Im Grunde war das die Antwort der Katholischen Kirche auf den aufkommenden Sozialismus.
Bis heute erinnern sich die christlichsozialen Parteien jedes Jahr an die Enzyklika. Am kommenden Wochenende findet die Feier statt. Und wie der 1. Mai ist auch Rerum Novarum ein Anlass, um die Sozialpolitik im Parlament aufs Tapet zu bringen. Und da gab's zunächst viel Eigenlob: Nirgendwo in Europa hat eine Regierung mehr getan für die Kaufkraft der Menschen, der Familien und der Unternehmen, sagte Servais Verherstraeten von der CD&V.
Vertreter der sozialistischen Parteien und auch die flämischen Liberalen schlugen in dieselbe Kerbe. Und sie konnten sich da auch berufen auf Studien unter anderem der EU-Kommission, die insbesondere die in Belgien geltende Lohn-Index-Bindung lobend hervorgehoben hat.
Für die marxistische PTB geht das alles aber nicht weit genug. "Sie beweihräuchern sich selbst, während eben diese Regierung doch dem Vorbild ihrer Vorgänger gefolgt ist und ebenfalls die Löhne blockiert hat", polterte Peter Mertens. "Und, wenn Sie schon die Gehälter blockieren, können Sie dann nicht auch die Wucherpreise einfrieren?"
Wer da bei wem abgeschrieben hat, man weiß es nicht. Aber Melissa Depraetere von den flämischen Sozialisten Vooruit erklärte, dass ihre und die PS-Fraktion eben einen solchen Vorschlag im Parlament hinterlegt hätten. Denn, wenn die Kaufkraft in Belgien auch besser geschützt war als in den meisten anderen Ländern, so sei dafür immer noch nicht alles rosig. Und deswegen wollen die sozialistischen Fraktionen eben die Preisbeobachtungsstelle stärken und ihr auch die Möglichkeit geben, Preisbremsen zu verhängen. Denn es gibt sie eben, die Krisengewinner, hakte der PS-Kollege Patrick Prévot ein. Banken, Supermarktketten, Energieunternehmen und die großen Lebensmittelkonzerne. Die steigern ihre Gewinne auf dem Rücken der Verbraucher.
Wirtschaftsminister Pierre-Yves Dermagne ist selbst Sozialist. Er dürfte also von dem Vorstoß seiner Parteikollegen nicht wirklich überrascht gewesen sein. Entsprechend zeigte er sich aufgeschlossen. "Es ist offensichtlich, dass verschiedene Produkte in unseren Supermärkten teurer sind als in den Nachbarländern." Deswegen habe er die Preisbeobachtungsstelle schon vor einigen Monaten damit beauftragt, die Lage zu analysieren und nach den Ursachen zu suchen.
Und ja, notfalls sollte die Preisbeobachtungsstelle die Möglichkeit haben, auch mal Preise einzufrieren. Das sei im Übrigen auch jetzt schon theoretisch möglich. In jedem Fall müsse man da aber Vorsicht walten lassen. Man wolle ja auch nicht, dass am Ende in den Supermarktregalen Produkte fehlen.
Innerhalb der Vivaldi-Koalition dürften mögliche Preisbremsen allerdings nicht so leicht durchsetzbar sein. "Mit uns wird keine neue Front eröffnet gegen Unternehmen, die es 'wagen', Gewinn zu machen", sagte etwa Tania De Jonge von der liberalen OpenVLD.
Nichts desto trotz: Die Debatte über offensichtliche Krisengewinner dürfte die Politik noch eine Weile beschäftigen - auch nach dem Jahrestag von Rerum Novarum.
Roger Pint