Immer öfter tauchen relativ exotische Meeresbewohner in unseren Breiten auf. Im letzten Frühling beispielsweise wurde in der Seine in Frankreich zunächst ein Orca gesichtet, gefolgt einige Monate später von einem Beluga- oder Weißwal. Ganz so sensationell fallen die Sichtungen an der belgischen Küste nicht aus, zumindest noch nicht.
Aber dennoch hat es 2022 auch hier durchaus seltene Besucher gegeben, wie das Königliche Belgische Institut für Naturwissenschaften in seinem neuen Jahresbericht hervorhebt. Unter anderem soll es etwa erstmals in der jüngeren Geschichte wieder eine Geburt eines Seehundes an der belgischen Küste gegeben haben, nämlich in Nieuwpoort.
Außerdem seien Buckelwale gesichtet worden, Weißschnabeldelfine und ein Sowerby-Zweizahnwal. Alle diese Arten sind eigentlich viel weiter nördlich beheimatet, hebt das Institut hervor, dass man sie so weit im Süden finde, sei sehr ungewöhnlich. Deshalb muss man auch ziemlich Glück haben, einen dieser Meeressäuger zu sehen zu bekommen.
Bei anderen Arten stehen die Chancen deutlich besser, wie Thierry Jauniaux in der RTBF ausführte. Der Tierarzt der Universität Lüttich ist auf Meeressäugetiere spezialisiert. Unter den Walen an Belgiens Küste finde man vor allem Schweinswale. Und dann gebe es natürlich die Seehunde und auch immer mehr Kegelrobben.
Dass die Populationen bestimmter Meeressäuger zunehmen, hat natürlich zu einem gewissen Teil auch damit zu tun, dass sie sich vermehren. Sehr oft handele es sich aber vor allem um eine Verlagerung aus nördlicheren Gewässern zu uns. Im Norden würden die Beutetiere - also die Nahrungsquellen - für Meeressäuger knapp, so Jauniaux. Der Grund dafür liege in globalen Veränderungen, darunter der Klimawandel.
In diesem Zusammenhang warnt der Veterinär auch davor, das als Indikator zu nehmen für die Wasserqualität und den Zustand der Umwelt. Den Zustand der Nordsee könne man eigentlich nur wirklich an den Körpern der Tiere ablesen, wenn man sie nach ihrem Tod seziere. Erst dann könne man wirklich Rückschlüsse auf die Umweltverschmutzung ziehen, etwa durch den Nachweis von Makro- und Mikromüll oder von Chemikalien. Diese Verschmutzung sei leider nach wie vor ein Problem und es kämen auch neue Substanzen hinzu.
Eine weitere Gefahr für Meeressäuger sind Fischernetze. Aber zumindest in dieser Hinsicht gibt es dank verschiedener Gegenmaßnahmen gute Nachrichten. Es gibt aber noch weitere nachgewiesene oder doch zumindest vermutete Ursachen, die dazu beitragen können, dass sich zum Beispiel Wale verirren, stranden und dann verenden, unterstreicht der Tierarzt. Es gebe zumindest den Verdacht, dass einige Todesfälle mit dem Bau oder Betrieb von Offshore-Windparks in Zusammenhang stünden.
Bei anderen Faktoren ist die Diagnose eindeutiger: Insbesondere seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird auch die Nordsee militärisch viel intensiver überwacht, unter anderem mithilfe von sehr leistungsstarkem Sonar. Das könne sicher Strandungen verursachen oder begünstigen. Und was für militärische Aktivitäten gilt, gilt natürlich auch für zivile. Denn schließlich sind die Nordsee und gerade der Ärmelkanal sehr stark befahrene Gewässer.
Der Lärm der Schiffe und der Sonaranlagen könne die Meeressäuger temporär oder sogar dauerhaft taub machen. Und sie seien für ihre Orientierung ja auf ihr Gehör angewiesen.
Boris Schmidt