"Wenn man vor allem Jugendliche fragt, was es mit dem 8. Mai auf sich hat, dann können die meisten nicht darauf antworten", beklagte Ellen De Soete in der RTBF. Dabei ist der 8. Mai zweifellos ein Schlüsselmoment in der jüngeren europäischen Geschichte. Der 8. Mai 1945 war ja der Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, was gleichbedeutend war mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Und für Ellen De Soete ist es schlichtweg nicht normal, dass man diesen Gedenktag nicht gebührend würdigt.
Sie wurde im Grunde auch erst spät für das Thema sensibilisiert. Ihre Mutter war Mitglied der Résistance in Belgien. Viel mehr wusste Ellen De Soete lange Zeit nicht. Bis ihre Mutter mit 88 Jahren kurz vor ihrem Tod ihr mal die ganze Geschichte erzählt hat. Wie sie von der Gestapo festgenommen und interniert wurde, wie sie gefoltert wurde. "Es ist unfassbar, was Menschen anderen Menschen antun können. Und daran müssen wir uns erinnern, das dürfen wir nicht vergessen", sagt Ellen De Soete.
Nur haben viele das eben vergessen. Sehr viele, nicht nur junge Menschen wissen mit dem 8. Mai nichts anzufangen. Deswegen hat Ellen De Soete die "Koalition 8. Mai" ins Leben gerufen, der sich zahlreiche Organisationen aus der Zivilgesellschaft angeschlossen haben: Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen, Frauenverbände, aber auch viele Künstler. "Erstens: Wir wollen, dass der 8. Mai wieder zum Feiertag erhoben wird", sagt De Soete. "Dieser Tag soll, zweitens, vor allem der Résistance gewidmet sein. Und drittens soll das ganz klar ein Aktionstag gegen Rechtsextremismus sein."
Dass Ellen De Soete hier besonders die Résistance hervorhebt, hat nicht nur mit ihrer Mutter zu tun. Am Beispiel ihrer Mutter sei ihr aufgefallen, dass der Widerstand gegen die Naziherrschaft irgendwie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist. Und das finde sie echt schockierend, sagt Ellen De Soete: In Belgien wurden 15.000 Mitglieder der Résistance getötet. Und sie stelle sich die Frage, wie es möglich sein kann, dass man darüber nicht mehr spreche.
Das hat wohl auch damit zu tun, dass man sowohl in Flandern, als auch im frankophonen Landesteil eigentlich am liebsten gar nicht mehr über den Zweiten Weltkrieg reden wollte. Jeder hatte da nämlich seine Leichen im Keller der Geschichte. Für die Flamen waren es die vielen Nationalisten, die zu Kollaborateuren geworden waren. Und die Frankophonen hatten ihren Léon Degrelle mit seiner Légion Wallonie. Und vor allem in Flandern gab es nach dem Krieg viele Politiker mit einer etwas zwielichtigen Vergangenheit, die den Ton angaben, insbesondere in Bezug auf die flämischen Autonomie-Forderungen.
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wurde zudem überstrahlt durch den Ersten Weltkrieg, der ja zum Teil unmittelbar auf belgischem Boden ausgefochten worden war und der das Land zumindest materiell viel stärker in Mitleidenschaft gezogen hatte.
1974 verlor der 8. Mai jedenfalls schon seinen Status als "vollwertiger" Feiertag. 1983 verschwand er dann vollständig. Es blieb ja noch der 11. November, sagte in der RTBF Catherine Lanneau, Historikerin an der Uni Lüttich. Der 11. November, an dem an das Ende des Ersten Weltkriegs erinnert wird, wurde irgendwann zum Gedenktag für beide Kriege. Das hatte auch damit zu tun, dass der 11. November gleichbedeutend war mit dem Ende der Kampfhandlungen auf belgischem Boden.
Es sind aber wohl auch die politischen Entwicklungen der letzten Jahre, die das Interesse am 8. Mai sozusagen wiederbelebt haben. Überall auf der Welt haben Rechtsextremisten wieder den Wind in den Segeln. Und das weckt die Befürchtung, dass sich die Geschichte irgendwie wiederholen könnte. "Lasst uns aus dem 8. Mai einen viel größeren Gedenktag machen", sagte der flämische Schriftsteller Tom Lanoye bei der Gründungsveranstaltung der "Koalition 8. Mai" vor genau einem Jahr. "Einen Tag, an dem wir unsere Freiheit ausgiebig feiern."
Roger Pint
Gegen Nazis muss man auf andere Art und Weise vorgehen. Weil genau sonst die Europäische Nazi-Szene den 8. Mai erstrecht gegen unser Nachbar-Volk missbraucht wie alle anderen Feiertage im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen.
8. Mai oder Waffenstillstandstag haben da noch nie gegen die Europäische Nazi-Szene geholfen.