Bei der Erstattung von Kosten für Behandlungen oder für Medikamente durch die Krankenkasse läuft es normalerweise so: Zuerst muss auf europäischer Ebene überprüft und bestätigt werden, dass ein Mittel sicher ist, wie Pedro Facon der VRT ausführte. Er ist seit etwas mehr als einem Jahr stellvertretender Generaldirektor des Landesamts für Krankenversicherung (Likiv/Inami).
Danach sind die Mitgliedsstaaten am Zug, denn Gesundheit ist nach wie vor eine nationale Zuständigkeit. Die einzelnen Länder entscheiden dann, wie viel sie für diese Medikamente zurückbezahlen.
Der Haken an diesem System: Wenn Medikamente neu sind oder zum Einsatz gegen seltene Krankheiten gedacht sind, gibt es oft noch nicht ausreichend Daten, um ihre Wirksamkeit deutlich genug zu belegen für eine europäische Zertifizierung. Dennoch können manche dieser Medikamente die vielleicht einzige Chance sein für bestimmte Patienten. Auch wenn das gelegentlich mit einem - zumindest für Außenstehende - sehr hoch scheinenden Preisschild kommen kann. So hoch, dass es für Normalsterbliche oft kaum möglich ist, diese Mittel aus eigener Tasche zu bezahlen.
Temporäre Verträge
Um diese Menschen dennoch nicht im Stich zu lassen, werden manche Medikamente vom Gesundheitssystem erstattet, obwohl sie noch kein offizielles grünes Licht von der EU haben. Es könne sein, dass ein Medikament zwar sehr vielversprechend sei, aber eben mit gewissen Unsicherheiten behaftet auf den Markt komme, was seine tatsächliche Wirksamkeit betreffe, so Facon. Es gebe dann zwar klinische Studien, die die Unbedenklichkeit belegten, aber oft fehlten noch mehr Daten, um ihren tatsächlichen Mehrwert für den Patienten zu untermauern.
Die einzelnen Staaten, nicht nur Belgien, träfen dann Vereinbarungen, um die Kosten zeitlich begrenzt dennoch zu erstatten - unter der Auflage allerdings, dass die Pharmabetriebe währenddessen weitere Daten liefern, um die Wirksamkeit der Mittel zu stützen.
Genau hier kommen die geheimen Preisabsprachen zum Zug. Denn jedes Land verhandelt separat mit den Pharmabetrieben, handelt eigene Preise aus. Wenn die bekannt würden, dann würde das die Verhandlungen zwischen den Betrieben und anderen Kunden möglicherweise negativ beeinflussen.
Vertrauliche Rabatte
Es gibt noch einen wichtigen Faktor: Diese Deals beinhalteten auch vertrauliche Rabatte, nämlich für den Fall, dass mehr Patienten mit diesen Medikamenten behandelt werden als ursprünglich geplant, sprich, wenn dem Gesundheitssystem höhere Kosten als geplant entstehen. Diese vertraulichen Rabatte sind nicht unerheblich: Die Hälfte der Summe, die der Föderalstaat für diese Art von Verträgen ausgebe, werde von den Betrieben zurückgezahlt - eben wegen der geheimen Preisabsprachen beziehungsweise Rabatte. Von rund zwei Milliarden ausgegebenen Euro bekomme der Staat also eine Milliarde am Ende des Jahres zurück.
Wirklich glücklich sei Belgien mit dieser Art Absprachen aber nicht, unterstrich Facon, aber die Pharmaindustrie beharre auf der Vertraulichkeit der finanziellen Details. Solange Europa sich hier nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen durchringen könne, werde die Praxis fortgesetzt - einfach um Patienten trotzdem Zugang zu bestimmten innovativen Medikamenten bieten zu können.
Stärkere Reglementierung und mehr Transparenz
Dennoch arbeiteten das Likiv und das Gesundheitsministerium an einer stärkeren Reglementierung dieser Absprachen und an mehr Transparenz, zumindest in gewissen Punkten. Zum einen sollen die Betriebe stärker dazu angehalten werden, zusätzliche Daten zu liefern und sollen diese Daten auch besser präsentiert werden. Die Dauer solcher Absprachen soll stärker begrenzt werden. Aktuell können die im Prinzip immer weiter verlängert werden. In Zukunft sollen sie nur zwei und in Ausnahmefällen drei Mal verlängert werden können - die Rede ist also von einer maximalen Laufzeit von sechs bis neun Jahren.
Außerdem sollen Verträge auch unmittelbar beendet werden, sobald generische Präparate auf den Markt kommen. Und schließlich sollen auch die Preismechanismen einsehbar werden für die Öffentlichkeit. Betonung auf "Mechanismen", die Preise selbst werden weiter geheim bleiben.
Bei all diesen Maßnahmen handelt es sich aktuell wohlgemerkt noch um Vorschläge, noch nicht um Beschlüsse der Föderalregierung.
Boris Schmidt