Man kann nur erahnen, dass hinter den Kulissen der EU-Kommission zurzeit ein heftiger Kampf tobt. Und das die Erklärung dafür ist, warum die Kommission ihre Pläne für eine EU-weit einheitliche, verpflichtende und auf der Vorderseite der Packung anzubringende Kennzeichnung von Lebensmitteln immer noch nicht vorgelegt hat. Ende vergangenen Jahres hatte die Kommission das eigentlich schon machen wollen. Aber bislang ist noch nichts erschienen.
Mit Sicherheit will die Kommission auch das Debakel vermeiden, das sie schon einmal erlebt hat bei dem Versuch, eine so genannte Ampel-Kennzeichnung auf Lebensmitteln EU-weit einzuführen. Damals, vor rund 13 Jahren, war die EU-Kommission am Widerstand des Europaparlaments und der EU-Mitgliedsländer gescheitert.
Widerstand gegen ein solches System regt sich gerade auch wieder verstärkt in Italien. Die RTBF gab Donnerstagvormittag einen Einblick in die Stimmung im Land. Warum die Italiener aufgebracht sind? Wegen der uralten Argumente gegen eine farbliche Kennzeichnung von Lebensmitteln. Viele der traditionellen Spezialitäten aus Italien kämen dabei nämlich schlecht weg. Olivenöl, Käse, Wurst - alle haben viel Fett und Salz. Als gesund würden sie in einer farblichen Kennzeichnung von Lebensmitteln nicht punkten. Absurd findet man das in Italien, wo gutes Essen gleichsam Religion ist.
Doch die Verteidiger des Nutri-Scores, des farblichen Kennzeichnungs-Systems, das zurzeit in Belgien existiert, verteidigen die Einordnung auch italienischer Traditionsprodukte weitab vom grünen A. Laurence Doughan, Ernährungsexpertin beim Föderalen Öffentlichen Dienst für Gesundheit, erklärte am Telefon der RTBF: "Der Nutri-Score weist lediglich darauf hin, dass man zum Beispiel italienische Produkte wie Pecorino, Mortadella oder Parmaschinken, die wir alle gerne essen, nur in Maßen genießen sollte. Denn das sind Produkte mit viel Salz und vielen gesättigten Fettsäuren.“
Der Nutri-Score sei nie absolut zu sehen, er diene vor allem als Vergleichsmittel für Produkte aus derselben Produktgruppe. Wenn man zum Beispiel bei Fertiggerichten wissen wolle, welches das gesündeste sei, dann könne man das am Nutri-Score gut ablesen. Äpfel mit Birnen vergleichen, das dürfe man mit dem Nutri-Score nicht machen. Also Produkte aus verschiedenen Produktgruppen aufgrund des Nutri-Scores vergleichen, um dann zu entscheiden, welches das gesündere ist. Das würde in die Irre führen.
Der Nutri-Score kommt übrigens aus Frankreich und ist dort 2017 eingeführt worden. Belgien folgte ein Jahr später. Mittlerweile haben sechs europäische Länder den Nutri-Score als Empfehlung eingeführt. Daneben gibt es auch andere farbliche Kennzeichnungssysteme für Lebensmittel. Sie alle folgen einem ähnlichen Muster, basieren aber auf anderen Berechnungs- und Einstufungssystemen. Ziel von allen ist es, dem Verbraucher schnell eine Orientierung zu geben, wie "gesund" ein Lebensmittel ist, ohne dafür die als eher kompliziert geltenden Nährwerttabellen auf den Produkten entziffern zu müssen.
Der Vorschlag der EU-Kommission könnte ähnlich aussehen wie der aktuelle Nutri-Score in Belgien. Doch das bleibt abzuwarten. Sicher scheint allerdings schon jetzt: Streit wird unvermeidlich sein. Denn bei Lebensmitteln geht es nicht nur um Gesundheit und guten Geschmack. Sondern auch um Wahrung von Traditionen, lokale Identitäten und letztlich auch um viel Geld.
Kay Wagner