Eines steht wohl außer Frage: Die Kriminellen müssen sehr überzeugt gewesen sein von der Sicherheit ihrer Krypto-Telefone und -Apps. Sonst hätten sie mit ihnen wohl kaum die Art von Geschäften besprochen, die viele von ihnen - juristisch betrachtet - mittlerweile in Teufels Küche gebracht haben. Dabei hätte ein Blick in die Geschichtsbücher wohl gereicht, um zu zeigen, dass es so etwas wie "unknackbare" Systeme nicht gibt.
Das ist ein Glück, nicht zuletzt für die belgischen Sicherheits- und Justizbehörden. Denn die harte Arbeit an Sky ECC zahlte sich aus, ab dem 9. März 2021 konnten sie quasi live mithören beziehungsweise -lesen bei den Gesprächen der Kriminellen. Als herauskam, was den Behörden da gelungen war, machte sich eine regelrechte Panik in der Drogenszene breit. Und es wurde ein immenser Aufwand betrieben, um über Anwälte die mittels des Sky-ECC-Hacks gewonnenen Beweisstücke für unzulässig erklären zu lassen. Samt und sonders vergeblich bisher, sollte man betonen: Die Gerichte haben alle entsprechenden Beschwerden abgeschmettert, wie der föderale Justizminister Vincent Van Quickenborne auch am Donnerstagmorgen im Interview mit der VRT erneut unterstrich.
In den zwei Jahren seit Beginn dieser bisher größten Operation gegen die organisierte Kriminalität seien fast 3.000 Verdächtige identifiziert und 500 Verfahren eröffnet worden, so der Justizminister. Die Justiz habe seitdem nicht nur bewiesen, dass sie schnell agieren könne, sondern auch, dass sie streng ahnden könne.
344 Verurteilungen
344 Verurteilungen habe es bisher gegeben, mit einer Gesamtstrafe von 1.125 Jahren Gefängnis. Das sei ja nur der Zwischenstand. Noch immer gebe es wöchentlich neue Festnahmen und Urteile - vorbei sei die Sky-ECC-Geschichte also sicher noch nicht.
Der Drogenkriminalität sei damit ein sehr schwerer Schlag versetzt worden. Vor allem sei den Verbrechern auch das deutliche Signal gegeben worden, dass man nicht länger gewillt sei, ihrem Treiben ohnmächtig zuzusehen. Ein Signal, das im Übrigen nicht nur an die Drogenhändler gerichtet war. Denn das Knacken von Sky ECC erlaubte es nicht nur, sie zu enttarnen, sondern auch ihre korrupten Netzwerke. In der Folge hat die Justiz auch bereits harte Urteile gefällt gegen unter anderem bestochene Polizei- und Justizbeamte, gegen Mitarbeiter von Transportunternehmen und diverse andere Helfer.
Der Kampf gegen die Kartelle sei seitdem auch anderweitig ausgeweitet worden, führte der Justizminister aus, beispielsweise könne nun verstärkt gegen illegale Drogenhändler vorgegangen werden, sprich Verbrecher, die sich illegal im Land aufhalten und oft versuchen, ihre wahre Identität zu verstecken. Außerdem werde der Kampf mittlerweile auch organisierter auf allen Ebenen geführt, von der internationalen bis hinunter zur lokalen.
Schattenseiten
Das hat bekanntermaßen aber auch Schattenseiten: Der verstärkte Kampf gegen die Drogenmafia hat zu sehr viel Unruhe und neuer Gewalt im Milieu geführt, wie auch der Justizminister einräumte. Unter anderem werden dafür Verteilungskämpfe um "freigewordene" Märkte und neue, nachrückende Akteure verantwortlich gemacht. Beziehungsweise auch interne Vergeltungs- und Racheaktionen, beispielsweise wegen verschwundener oder beschlagnahmter Drogenlieferungen. Trauriger Höhepunkt bisher: der Tod eines unbeteiligten elfjährigen Mädchens Anfang Januar in Antwerpen. Aber das ist nur die Spitze eines Eisbergs der Gewalt aus Überfällen, Anschlägen, Entführungen und Folterungen. Auch Journalisten und Politiker würden offen bedroht, erinnerte der Justizminister, der das auch schon am eigenen Leib erfahren hat.
All das sei eine Folge davon, dass die Justiz endlich ihre Zähne zeige. Van Quickenborne macht wenig Hoffnung für die unmittelbare Zukunft. Bevor es eine Verbesserung der Lage gebe, werde es zunächst eine weitere Verschlechterung geben, so seine nüchterne Prognose. Das ändere aber nichts an einer grundlegenden Tatsache. Es gebe gar keine Alternative, dieser Kampf gegen die Drogenmafia müsse geführt werden.
Sky ECC: 128 Verdächtige sollen wegen Drogenhandels vor Gericht
Boris Schmidt