Eigentlich gab es eine klare Ansage: Zumindest die Menschen, die wirklich in Belgien um Asyl ersuchen, sollten nicht nur medizinisch untersucht, sondern auch anderweitig untergebracht und verpflegt werden.
Das war das Angebot an die Personen, die sich auch am Mittwoch noch in dem Haus aufhielten und bei denen es sich nicht um "gewöhnliche" Obdachlose handelte.
Sogar blaue Bändchen gab es als Markierung für diese nominell berechtigten Flüchtlinge. Aber während manche von ihnen auf den Transport gewartet hätten, seien sie von der Polizei aus der Rue des Palais vertrieben worden, heißt es.
Neue Brennpunkte
In der Nacht hätten geschätzt 150 Menschen aus der Rue des Palais ohne Dach über dem Kopf dagestanden. Etwa 90 von ihnen hätten vor dem Asylzentrum Petit-Château auf der Straße kampieren müssen. Zusätzlich zu den Flüchtlingen, die das ohnehin schon taten.
Das bestätigte auch eine Anwohnerin gegenüber der VRT: Vorher sei nur ein Bürgersteig von den Flüchtlingen belegt gewesen, nun seien es beide und sogar Teile des Fahrradweges. Das sei unmöglich, so etwas gehe doch nicht und sei nicht nachvollziehbar.
Nicht nachvollziehbar oder überprüfbar ist übrigens auch, wer und wie viele dieser Neuankömmlinge tatsächlich aus der Rue des Palais kommen und auch ob sie wirklich einen Unterbringungsanspruch haben. Denn besagte blaue Bändchen könnten auch weitergeben worden sein, heißt es.
In jedem Fall gab es aber auch dieses Mal wieder Anwohner des Petit-Château, die den Neuankömmlingen in der sehr kalten Nacht und auch heute Morgen wieder halfen, etwa mit Decken und warmen Getränken.
Vertriebene aus der Rue des Palais tauchten in der Nacht aber auch an diversen anderen einschlägigen Orten in der Stadt auf, etwa in anderen besetzten Häusern und den großen Bahnhöfen des Zentrums.
Das Problem ihrer Unterbringung ist also nicht gelöst worden, es hat sich nur verlagert. Hinzu kommt, dass sich offenbar keine offiziellen Stellen um sie kümmern oder sie auf dem Laufenden halten, wie es nun weitergehen soll. Zumindest behaupten das die Flüchtlinge selbst.
Flämischer Unmut
Für politischen Ärger sorgte und sorgt aber eine andere Gruppe ehemaliger Bewohner der Rue des Palais. Manche reden sogar schon von potenziell gemeinschaftspolitischem Zündstoff.
Eine große Anzahl Personen aus der Rue des Palais sind am Mittwoch tatsächlich untergebracht worden. Unter anderem in einem Hotel in Ruisbroek in der Gemeinde Sint-Pieters-Leeuw. Ein Hotel, das gar nicht mehr in der Region Brüssel-Hauptstadt liegt, sondern einige hundert Meter jenseits der Grenze, in der Provinz Flämisch-Brabant.
Er sei nicht vorab informiert worden, dass die Flüchtlinge in seiner Gemeinde untergebracht würden, so der Bürgermeister von Sint-Pieters-Leeuw, Jan Desmeth (N-VA) im Gespräch mit Radio Eén. Er habe erst von seiner eigenen, lokalen Polizei erfahren müssen, dass da ein Bus von der Brüsseler Nahverkehrsgesellschaft STIB stehe voller Migranten. Und dass weitere folgen würden.
163 Menschen seien es gewesen. Das habe nicht nur die Gemeinde überrascht. Sondern auch den Hotelbetreiber, weil die zuständige Brüsseler Stelle ursprünglich nur 30 Zimmer für insgesamt 90 Personen reserviert hatte und zwar bis Ende Februar.
Aber damit nicht genug: Nur 83 der 163 Personen seien vorab medizinisch untersucht worden. Heißt: 80 waren es nicht. Und das, obwohl bekannt war, dass es in der Rue des Palais teilweise sehr ansteckende Krankheiten gab. Ein potenzielles Gesundheitsrisiko für andere Hotelgäste also.
Und tatsächlich sollen nach dem erfolgten Gesundheitschecks einige Personen in ein Brüsseler Krankenhaus gebracht worden sein. Ursprünglich hatte wohl auch niemand daran gedacht, sich um die Verpflegung für die Flüchtlinge im Hotel zu kümmern.
Wer hat wann was gewusst?
Besonders ärgert N-VA-Bürgermeister Desmeth aber auch, dass er von den Kabinetten des Brüsseler PS-Ministerpräsidenten Rudi Vervoort und von CD&V-Asylstaatssekretärin Nicole de Moor anfangs von Pontius zu Pilatus geschickt wurde. Und dass Brüssel anfangs behauptet habe, nicht gemerkt zu haben, dass das Hotel schon auf flämischem Gebiet liege. Er werde bei der Asylstaatssekretärin auch darauf drängen, dass die Asylsuchenden möglichst schnell in reguläre Asylunterkünfte überführt würden.
Aber nicht nur der Bürgermeister von Sint-Pieters-Leeuw und die örtliche Polizei wurden nach eigenen Angaben überrascht. Auch die flämische Regionalregierung und der Gouverneur der Provinz Flämisch-Brabant geben an, nicht beziehungsweise nur unmittelbar vorher informiert worden zu sein.
Das wiederum aber weist das Kabinett des Brüsseler Ministerpräsidenten zurück: Der Verantwortliche der Brüsseler Polizeizone habe seine Kollegen in der betroffenen Polizeizone in Flämisch-Brabant informiert, so das Kabinett Vervoort. Informationsaustausch habe es auch zwischen der Brüsseler Gouverneurin und ihrem Pendant in Flämisch-Brabant gegeben.
Ein weiteres Schwarzer-Peter-Spiel findet derweil übrigens auch noch auf einer anderen Ebene statt, nämlich zwischen der Asylstaatssekretärin, die ja für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig ist, und der Region Brüssel, die, gemeinsam mit der Gemeinde Schaerbeek, die eigentliche Räumung durchgeführt hat.
Das Ganze hat mittlerweile so hohe Wellen geschlagen, dass sich selbst der Premier schon äußern musste. Die Untersuchung darüber, was genau wann so bedauerlich schief gegangen sei, laufe noch, so Premier De Croo sinngemäß am Rande einer Pressekonferenz.
Boris Schmidt