Der Krieg befinde sich aktuell in einer Abnutzungsphase ohne wirkliches Vorrücken, führte Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder im Interview mit der RTBF aus, und man müsse davon ausgehen, dass sich diese Kämpfe auch fortsetzen würden. Man erwarte aber auch eine erneute umfangreiche Mobilisierung der russischen Armee und eine neue Großoffensive von Putins Truppen.
Deswegen sei es auch wichtig, die Zeit jetzt zu nutzen - vor dem erwarteten Beginn dieser Offensive, um den Ukrainern neue Unterstützung zu schicken.
Belgien führe keinen Krieg gegen Russland und schon gar nicht gegen seine Bevölkerung, betonte die PS-Ministerin. Aber man müsse den Ukrainern helfen, sich zu verteidigen. Es gehe hier auch nicht nur um die Sicherheit der Ukraine, auch die Sicherheit Belgiens und die demokratischen Werte stünden auf dem Spiel.
Die Verteidigungsministerin verwehrte sich auch gegen Vorwürfe, dass Belgien – im Vergleich zu seinem Bruttoinlandsprodukt – relativ geizig sei bei seiner Militärhilfe für das überfallene Land. Es gebe immer Menschen, die sagten, man liefere zu viel oder zu wenig, so Dedonder. Und Belgien habe der Ukraine von Anfang an und kontinuierlich geholfen, sich gegen die russische Invasion zu wehren. Bei der Festlegung, was und wie viel geliefert werde, stehe auch für Belgien vor allem ein Prinzip im Vordergrund: "Komplementarität" - also gegenseitige Ergänzung.
Für jede erfolgreichen Militäroperation brauche man ein Gleichgewicht verschiedener Kapazitäten. Deswegen analysiere man konstant einerseits, über welche Reserven die belgische Armee verfüge und was die belgische Rüstungsindustrie liefern könne – und andererseits, was die Ukrainer aktuell bräuchten. Denn auch das hänge von der sich entwickelnden Situation ab.
Dafür gebe es ja auch die sogenannte "Kontaktgruppe Ukraine", eben um mit Ukrainern und Verbündeten zu koordinieren, was benötigt werde und wer was liefern könne, um sich gegenseitig zu ergänzen. Auch das sei schließlich das "Europa der Verteidigung", dass nicht jeder Mitgliedsstaat in die gleichen Kapazitäten investieren müsse. Als Beispiel führte Dedonder Frankreich an, das zumindest aktuell keine Kampfpanzer oder Kampfflugzeuge liefern wolle, aber dafür eben neue Artilleriesysteme.
In diesem Kontext bekräftigte die Verteidigungsministerin auch erneut, dass sich momentan nicht einmal die Frage stelle, ob Belgien der Ukraine F-16-Kampfjets liefern werde. Diese Diskussion tobt ja schon in diversen anderen Ländern. Erstens habe die Ukraine Belgien gar nicht um F-16 gebeten, wie auch schon der Premierminister klargestellt habe. Zweitens seien alle belgischen F-16 im aktiven Einsatz, unter anderem für die Sicherung des belgischen und Benelux-Luftraums und für die gemeinsame Nato-Verteidigung und die Sicherung des Luftraums der baltischen Staaten.
Die F-35, die die belgischen F-16 ersetzen sollen, würden auch nicht vor 2025 eintreffen, über eine Abgabe von F-16-Maschinen zum jetzigen Zeitpunkt brauche man also nicht einmal zu spekulieren, so Dedonder.
Die Verteidigungsministerin hob aber auch noch einen anderen Aspekt des Krieges hervor: Er habe schonungslos alle Abhängigkeiten offengelegt, sei es nun in puncto Energie, Verteidigung oder selbst bei der Versorgung mit beispielsweise elektronischen Komponenten. Deswegen müsse die belgische und auch die europäische Industrie eben auch gestärkt werden, um wirklich eine strategische Autonomie garantieren zu können, unterstrich die Verteidigungsministerin.
Boris Schmidt