Sich im Bedarfsfall als Geschworener zur Verfügung zu stellen, ist für belgische Staatsbürger – genau wie die Stimmabgabe bei Wahlen – Pflicht. Allerdings ist es eine bei vielen nicht sehr beliebte Pflicht.
Aber der Staat kennt keinen Spaß, wenn man versucht, sich dieser Pflicht zu entziehen. Wer etwa beschloss, am Mittwoch einfach nicht aufzutauchen, kann eine saftige Strafe von bis zu 8.000 Euro aufgebrummt bekommen.
Es gibt natürlich legitime Gründe, warum jemand nicht Geschworener werden kann, zum Beispiel gesundheitlicher, psychischer, familiärer oder beruflicher Art. Fast 340 der tausend ursprünglich geladenen Geschworenen-Kandidaten konnten sich so schon vorab freistellen lassen. Viele weitere müssen ihren Antrag der vorsitzenden Richterin am Mittwoch persönlich vortragen.
Einige der Geschworenen-Kandidaten haben sich am Mittwochmorgen auf dem Weg zur Jury-Zusammenstellung geäußert. Und was man hier auch immer wieder hörte, war Unsicherheit und Sorge angesichts der Aufgabe, die sie potenziell erwartet. Eine nachvollziehbare Reaktion schon bei einem "normalen" Prozess. Aber erst recht, wenn es um brutalen und großangelegten Terrorismus geht wie jetzt.
Schwere Aufgabe
Effektiv werden die Geschworenen ihr bisheriges Leben für die Dauer der Verhandlung fast komplett pausieren müssen. Experten rechnen mit einer Dauer von sechs bis neun Monaten. Finanziell entstehen den Geschworenen in dieser Zeit zwar theoretisch keine Nachteile, dafür sorgt der Staat. Aber bei anderen Aspekten ist Abhilfe deutlich komplizierter.
Geschworener zu sein könne sehr schwer sein, führte etwa Schwurgerichtspräsident Jo Daenen gegenüber der VRT aus. Richter seien berufsbedingt viel gewohnt. Das sei bei zufällig ausgelosten Geschworenen nun einmal nicht so. Sie würden aus ihrem Alltagsleben gerissen und in eine ihnen vollkommen fremde Welt geworfen. Plötzlich würden sie konfrontiert mit manchmal grauenhaften Bildern während des Prozesses, zum Beispiel aus Autopsien.
Geschworene würden aber auch konfrontiert mit menschlichem Leid, etwa wenn Angehörige von Opfern ihre Aussagen machten. Hinzu kommt, dass Geschworene auch nicht mit Menschen außerhalb der Jury über den Prozess sprechen dürfen - weder öffentlich noch privat. Unter anderem darauf müssen sie sogar einen Eid ablegen. Auch das kann natürlich eine zusätzliche Belastung darstellen. Es sei ein großer Kontrast, so Daenen. Tagsüber müssten sie sich mit manchmal furchtbaren Akten befassen, abends kehrten sie dann wieder zu sich nach Hause, zu ihrer Familie zurück. Manche Menschen könnten diesen Schalter einfach umlegen, andere aber nicht.
Und noch einen Faktor dürfe man nicht unterschätzen: Am Ende des Assisenprozesses müssten die Geschworenen über das Strafmaß mitentscheiden. Auch dafür seien sie nicht ausgebildet und vorbereitet. Und wenn sie dann Strafen von 30 Jahren oder lebenslänglich verhängen müssten, dann könne das durchaus Nachwirkungen haben bei manchen Jury-Mitgliedern.
Kostenlose Sitzungen beim Psychologen
Diese Nachwirkungen können manchmal auch dramatisch werden. Es gibt durchaus Fälle, in denen ehemalige Geschworene durch das Erlebte so in Mitleidenschaft gezogen werden, dass sie beispielsweise Depressionen entwickeln, arbeitsunfähig werden, Beziehungsprobleme bekommen oder noch Schlimmeres.
Vor und während eines Prozesses dürfen Geschworene übrigens auch nicht extern psychologisch unterstützt oder vorbereitet werden. Das könnte sie nämlich unerlaubt beeinflussen, so Daenen. Schließlich müssen sie unparteiisch und gewissenhaft bleiben. Aber das Justizministerium scheint eingesehen zu haben, dass zumindest nach dem Prozess mehr für Geschworene getan werden muss. Wie der FÖD Justiz am Dienstag mitgeteilt hat, sollen Geschworene künftig Anspruch auf bis zu zehn kostenlose Sitzungen mit einem geeigneten Therapeuten haben, wenn sie dies wünschen.
Terrorprozess von Brüssel: Auslosung der Geschworenen am Mittwoch
Boris Schmidt