Schon recht bald war am Tag nach dem Anschlag die zeitliche Abfolge der Ereignisse so wiedergegeben worden, wie sie auch heute noch gilt: Demnach war der spätere Täter am Donnerstagvormittag zunächst in der Polizeistation in der Brüsseler Stadtgemeinde Evere erschienen. Was genau er dort gesagt hat, fällt schon in die Grauzone der Dinge, die im Detail bislang noch nicht bekannt sind.
Außer Frage scheint allerdings zu sein, dass die diensthabenden Polizisten bei der Staatsanwaltschaft den Mann gemeldet haben mit der Frage, ob er zwangsweise in eine Psychiatrie eingewiesen werden könne - so, wie der Mann das wohl selbst verlangt habe.
Das lehnte die Staatsanwaltschaft aber ab. Weshalb die Polizisten den Mann dann zur Psychiatrie eines normalen Krankenhauses brachten. Weil er freiwillig dort hingegangen war, konnte der Mann das Krankenhaus auch einfach wieder verlassen. Wie genau und unter welchen Umständen, ist noch nicht bekannt.
Formal kein Fehler
Rein formal gesehen, so der Stand der Dinge bislang, wurde bei all dem nichts falsch gemacht. Olivier Slosse, Chef der Polizeizone Brüssel Nord, kann darüber angesichts des später durchgeführten Anschlags nur den Kopf schütteln. Am Sonntag sagte er im Fernsehen der VRT: "Wir verfolgen die ganzen Diskussionen und lesen die Pressemitteilungen. Und aus all dem lässt sich schließen, dass niemand einen Fehler gemacht hat. Aber das Ergebnis davon liegt vor. Das ist inakzeptabel."
Eine erste Möglichkeit für einen Fehler im Vorfeld des Anschlags wird bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft gesehen, den späteren Täter nicht zwangsweise in eine Psychiatrie eingewiesen zu haben. Obwohl der Täter selbst darum gebeten hatte.
Inge Van Wymersch, selbst Staatsanwältin im Bezirk Halle-Vilvoorde, will das als entscheidenden Knackpunkt allerdings nicht gelten lassen. Am Montagmorgen sagte sie im Radio der RTBF: "Selbst wenn man eine Zwangseinweisung angeordnet hätte, würde das nicht bedeuten, dass man die tragischen und dramatischen Ereignisse hätte verhindern können". Denn die erste Entscheidung eines Staatsanwalts hätte leicht auch wieder aufgehoben werden können. Und dann hätte sich der Anschlag wohl auch ereignen können.
Den zweiten Zeitpunkt für ein Versagen im Vorfeld des Anschlags sehen Beobachter in dem Moment, als die Polizisten den späteren Täter am Krankenhaus abliefern. Das soll geschehen sein, ohne dass die Beamten das Krankenhaus darauf hingewiesen hätten, dass der Mann potenziell gefährlich sei. Dazu waren die Beamten auch nicht verpflichtet. Ob sie diese Informationen überhaupt hätten mitteilen dürfen, ist auch nicht klar.
Zusammenarbeit hinterfragen
Wieder Kopfschütteln bei Polizeichef Slosse: "Die drei Partner Staatsanwaltschaft, Polizei und die psychiatrische Welt stehen in unmittelbarem Kontakt. Aber sie sprechen nicht miteinander. An diesem System müssen wir unbedingt arbeiten."
Staatsanwältin Van Wymersch drückt die gleiche Forderung etwas anders aus. "Selbst wenn es keine individuelle Schuld gibt, will das nicht heißen, dass man den Ablauf und die Prozeduren nicht hinterfragen sollte", sagt sie. "Man sollte schauen, ob die Prozeduren angemessen sind und ausreichen, um solche Dramen zu verhindern. Und ich denke, dass es möglich ist, etwas zu verbessern."
Dringlichkeitssitzung
Die zuständigen Föderalminister für Inneres und Justiz, Annelies Verlinden und Vincent Van Quiquenborne, werden am Montagnachmittag Gelegenheit haben, sich zu den Ereignissen zu äußern. Die Ausschüsse für Inneres und Justiz der Kammer haben die beiden Minister zu einer Dringlichkeitssitzung geladen. Thema der Diskussion: der Anschlag auf die zwei Polizisten und wie es dazu kommen konnte.
Kay Wagner
Würde man nicht Hintz und Kunz in unser Land lassen, hätte man diese Probleme nicht, die man nun versucht zu llösen, die dadurch entstanden sind.