Leo Delcroix war eine dieser schillernden Gestalten, die die Politik manchmal zutage fördern kann. Geborene Macher, denen allerdings oft auch wirklich alle Mittel recht sind. Begonnen hatte Delcroix seine politische Karriere eigentlich als ein klassischer Schattenmann. Nach brillanten Studien wurde er 1984 mit gerade einmal 35 Jahren zum Generalsekretär der flämischen Christdemokraten, die damals noch CVP hießen.
Die CVP war seinerzeit im nördlichen Landesteil nahezu allmächtig. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Partei bis dahin quasi ununterbrochen an der Macht gewesen, einzige Ausnahme waren vier Jahre zwischen 1954 und 1958. Als Generalsekretär eben dieser CVP war Delcroix also einer der mächtigsten Männer des Landes. Viele Christdemokraten, die damals ihre ersten Schritte in der Politik machten, verdanken ihm seine Karriere.
Nach einigen Jahren als Strippenzieher im Hintergrund wollte er dann aber offensichtlich doch auf die große Bühne. 1992 wurde Leo Delcroix zu der großen Überraschung bei der Bildung der neuen Regierung: Der neue Premierminister Jean-Luc Dehaene machte Delcroix, der bis dahin nicht mal auf einer Wahlliste gestanden hatte, geschweige denn ein öffentliches Amt bekleidet hatte, zum Verteidigungsminister. Wegen seines großen innerparteilichen Einflusses galt Leo Delcroix als die unbestrittene Nummer zwei hinter Dehaene.
Abschaffung der Wehrpflicht
Der umtriebige neue Verteidigungsminister machte sich gleich an die Arbeit und präsentierte kurz nach seinem Amtsantritt schon eine große Reform der Streitkräfte. Ein Teilaspekt davon machte ihn quasi zum Säulenheiligen für eine ganze Generation von jungen Männern. Damals ziemlich überraschend kündigte Delcroix nämlich die Abschaffung der Wehrpflicht an. Das sei einfach nicht mehr zeitgemäß, begründete er seinerzeit die Entscheidung. "Wir werden natürlich weiterhin diejenigen rekrutieren, die zur Armee wollen. Aber die, die nicht wollen, die werden wir nicht mehr zwingen."
Es ist wohl vor allem diese Entscheidung, die der Karriere von Leo Delcroix einen gehörigen Schubser gab. Als er 1994 erstmals auf einer Wahlliste kandidierte, fuhr er gleich ein sehr respektables Vorzugsstimmenergebnis ein. Das machte ihn zur unangefochtenen Nummer eins der CVP in der Provinz Limburg.
Mehrere Affären
Doch der neue Stern am flämischen Politikhimmel erwies sich als ein Meteorit. So schnell sein Aufstieg, so abrupt ging es für Leo Delcroix auch schon wieder bergab. Offensichtlich wurde er durch seine Vergangenheit eingeholt. Mehrmals wurde ihm Beihilfe zur illegalen Parteienfinanzierung zur Last gelegt. So wurde sein Name 1994 in der sogenannten "Smeerpijp-Affäre" genannt. Dabei ging es um eine Pipeline, die Abwässer aus Limburg über 106 Kilometer in die Schelde abführen sollte. Die Rohre wurden zwar in den 1970er Jahren tatsächlich auch verlegt, nur wurde die Anlage nie in Betrieb genommen. Anfang der 1990er Jahre flossen in der Akte Schadensersatzzahlungen, ein Teil davon soll in der Kasse der CVP gelandet sein. In der Zeit also, als Leo Delcroix noch Generalsekretär der Partei war. Er selbst wies aber alle Vorwürfe zurück.
Quasi zur gleichen Zeit flog ihm aber auch seine Villa in Bormes-les-Mimosas an der Côte d'Azur um die Ohren. Das Wochenmagazin Humo deckte auf, dass an der Renovierung des Hauses auch belgische Postboten mitgearbeitet hatten, die schwarz beschäftigt waren. Sie hatten sich dafür vom Dienst freistellen lassen. Dem Premierminister Jean-Luc Dehaene wurde es zu bunt, er drängte seinen Verteidigungsminister 1994 zum Rücktritt. Die Meldung schlug ein wie eine Bombe.
Leo Delcroix wollte sich aber noch nicht geschlagen geben. 1995 kandidierte er für das flämische Parlament und wurde auch gewählt. Doch wollte sein Stern nicht mehr aufgehen. Im Gegenteil. Die Serie der Skandale, in denen sein Name genannt wird, riss nicht ab. Am bekanntesten war die sogenannte "Milieuboxen-Affäre". Dabei ging es um grüne Plastikbehälter, die Anfang der 1990er an die flämischen Haushalte verteilt wurden. Darin sollte - wie es damals hieß - "kleiner, gefährlicher Abfall" entsorgt werden wie etwa Batterien, Farbe oder andere chemische Produkte.
Das Projekt wurde ein Flop, unter anderem, weil Normalsterbliche anscheinend unglaubliche Schwierigkeiten hatten, die Dosen zu öffnen. Später stellte sich heraus, dass der Auftrag über Umwege unter anderem auch einer Firma aus Delcroix' Heimatprovinz Limburg zugeschustert worden war, wofür die CVP auch Geld kassiert haben soll. Delcroix wurde in dieser Geschichte 2003 auch verurteilt, in Berufung dann aber doch freigesprochen. Er selbst hat jegliche Beteiligung immer bestritten. Schuld seien vor allem die Medien gewesen, von denen einige einen allzu großen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft Hasselt ausgeübt hätten, was ernsthafte Arbeit unmöglich gemacht habe.
Dennoch war seine politische Karriere 1999 endgültig vorbei. 2008 wurde Delcroix von der damaligen Föderalregierung zum Verantwortlichen für die belgischen Pavillons bei den Weltausstellungen von Shanghai und später auch Mailand ernannt. Doch auch hier geriet Delcroix wieder ins Zwielicht. Der Rechnungshof stellte mehrere vernichtende Gutachten aus, in denen immer mangelnde Transparenz und undurchsichtige Vergabeverfahren angeprangert wurden.
Leo Delcroix hatte rein juristisch betrachtet bis zuletzt eine weiße Weste. Dennoch wurde sein Name irgendwann zum Inbegriff für politische Skandale. Jetzt ist er mit 72 Jahren gestorben.
Roger Pint