Zuerst trifft es gegen viertel nach drei in der Nacht ein Pfannkuchenhaus in Laufweite des Stadtzentrums. Durch einen Sprengsatz wird die Eingangstür beschädigt. Und es ist nicht das erste Mal, dass es diese Adresse trifft: Schon vor knapp zwei Jahren war das Geschäft mit einer Granate angegriffen worden.
Etwa eine halbe Stunde später erwischt es einen Frisörsalon beziehungsweise einen danebenliegenden Hauseingang im Stadtteil Deurne, hier ist der Schaden deutlich größer. Die Wucht der Explosion sprengt nicht nur Türen und Fenster, sondern beschädigt auch die über dem Geschäft liegenden Wohnungen.
Deswegen kann aktuell noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, wer oder was hier eigentlich das Ziel war. Ebenso unklar ist noch, ob und welche Verbindung zwischen den zwei Anschlägen besteht und welcher Sprengstoff benutzt wurde, die Ermittlungen von Minenräumdienst, Gerichtslabor und der föderalen Gerichtspolizei laufen.
Klarer scheint der Angriff auf das Pfannkuchenhaus: Nicht nur ist es der zweite Anschlag in zwei Jahren auf die Örtlichkeit. Nur eine Nacht zuvor ist im Stadtteil Berchem ein Auto in Brand gesteckt worden. Und zwar ausgerechnet vor einem Haus, in dem die Familie wohnt, die auch das Pfannkuchenhaus betreibt. Eine polizeibekannte Familie, die bereits mehrfach im Zusammenhang mit Drogen aktenkundig ist. Und eine Familie, die sich schon länger eine Fehde mit rivalisierenden kriminellen Gruppen liefert. Auf eine Tür in der gleichen Straße ist außerdem das Wort "Spitzel" gesprayt worden.
Diese Vorkommnisse sind natürlich kein Einzelfall, immer wieder kommt es zu solchen Angriffen in Antwerpen. Aber die schiere Anzahl schockiert dennoch: 141 Anschläge in den vergangenen sieben Jahren hat etwa die Zeitung Het Laatste Nieuws gezählt, verteilt über das ganze Stadtgebiet - mindestens wohlgemerkt. Allein 2022 soll es schon rund 25 gewaltsame Zwischenfälle in der Stadt gegeben haben, die mit dem Drogenhandel in Verbindung gebracht werden.
Zufall ist das natürlich nicht, Antwerpen ist durch seinen Hafen schon lange berüchtigt als Einfallstor für Drogen vor allem aus Lateinamerika. Der auf große Drogenprozesse spezialisierte Strafverteidiger Sam Vlaminck spricht von in Wellen auftretender Gewalt. Solchen Anschlagswellen lägen meist bestimmte Ereignisse zugrunde, sagte Vlaminck in der VRT.
Vergeltung und Einschüchterung
Es könne sehr verschiedene Gründe für Angriffe geben. Die Banden konkurrierten natürlich auch miteinander. Und wenn eine Organisation beispielsweise eine bestimmte Schlüsselposition oder Schlüsselperson kontrolliere, dann könne es für Rivalen durchaus interessant sein, die auszuschalten.
Neben Konkurrenz gebe es aber auch Kooperation zwischen verschiedenen Gruppen, unterstreicht Vlaminck. Oft werde bei der Planung und Durchführung von Drogenlieferungen zusammengearbeitet. Regelmäßig verschwänden dabei aber Teile oder gleich ganze Lieferungen Kokain. Ja, und dann stelle sich für die Drogenhändler die Frage, was da wohl passiert sei. Also ob der Zoll die heiße Ware beschlagnahmt haben könnte. Oder ob sich jemand der eigenen Leute das Kokain unter den Nagel gerissen hat. Oder ob es vielleicht sogar ein Konkurrent war.
So etwas sorge dann im Milieu für sehr viel Unruhe, die oft eben auch mit Gewalt einhergehe. Denn schließlich gehe es um enorme Summen und die Hintermänner, die die Operationen finanzierten, forderten Rechenschaft. Einfach nur zu behaupten, dass der Container leer gewesen sei, reiche da jedenfalls nicht.
Die verschiedenen involvierten Gruppen, Clans und Familien verdächtigten sich also gegenseitig und bekämpften einander ohnehin. Und so komme es immer wieder zu Abrechnungen, Attacken, Vergeltungsaktionen und Einschüchterungsversuchen. Nicht nur gegen andere Gruppen, sondern auch innerhalb von Organisationen. Eine denkbar undurchsichtige und explosive Mischung in diesem dunklen Geschäft, in dem es um enorm viel Geld geht und in dem letztlich im Zweifelsfall keine Methode zu brutal ist.
Boris Schmidt