"Ich sage das nicht einfach so: Hier geht es um Menschenleben". Mit eindringlichen Worten warb Justizminister Vincent Van Quickenborne vor den Abgeordneten für seinen Gesetzentwurf, über den sich der zuständige Ausschuss nun aussprechen muss.
Der Justizminister stellt seine Kollegen da vor ein lupenreines Dilemma: Besagter Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit eines Häftlingsaustauschs vor - mit dem Iran. Zwar werden offiziell keine Namen genannt. Doch kann man sich an den fünf Fingern abzählen, um wen es geht.
Todesstrafe im Iran
Auf der einen Seite ist es wohl das Ziel der belgischen Regierung, den iranisch-schwedischen Arzt und Hochschulprofessor Ahmadreza Djalabi vor der Todesstrafe zu bewahren.
Djalabi war 2016 in Teheran festgenommen worden wegen angeblicher Spionage. Zu dieser Zeit arbeitete er an der Freien Universität Brüssel als Gastdozent. 2017 wurde er zum Tode verurteilt. Immer wieder lässt Teheran verlauten, dass das Urteil in Bälde vollstreckt werde.
In der anderen Waagschale liegt - so wird jedenfalls allgemein angenommen - ein gewisser Assadollah Assadi. Der ehemalige Diplomat wurde im vergangenen Jahr in Antwerpen zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, einen Bombenanschlag vorbereitet zu haben. Ziel war offenbar eine Großkundgebung unweit von Paris, an der 2018 tausende iranische Oppositionelle teilgenommen haben.
Das Attentat konnte im letzten Moment vereitelt werden. Assadi sitzt seither in einem belgischen Gefängnis.
Olivier Vandecasteele
Auf der einen Seite also ein Arzt, auf der anderen ein verurteilter Terrorist. So dachte man, denn die Zeitung De Standaard hat erfahren, dass da noch eine weitere Person in der Waagschale liegt.
Olivier Vandecasteele, 41 Jahre alt, sitzt seit dem 24. Februar im berüchtigten Evin-Gefängnis nördlich von Teheran. Der aus Tournai stammende Mann hat in den letzten Jahren für diverse Nichtregierungsorganisationen gearbeitet, zuletzt für die norwegische NRC Flüchtlingshilfe.
Ohne Namen zu nennen, bestätigte Justizminister Van Quickenborne in der Kammer den Sachverhalt. Hier stehe wieder ein Spionage-Vorwurf im Raum. "Unserer Ansicht nach handelt es sich aber um eine willkürliche Verhaftung."
Gesundheitliche Probleme
Über das genaue Schicksal von Olivier Vandecasteele habe man bislang nicht viel in Erfahrung bringen können, sagte in der VRT Olivier Van Steirtegem, sein bester Freund.
Olivier Vandecasteele sitzt seit fünf Monaten in Einzelhaft. Das Licht ist ununterbrochen eingeschaltet, er hat nur wenig zu essen. Hinzu kamen mit der Zeit gesundheitliche Probleme, wobei er so gut wie keine ärztliche Hilfe bekommt.
Olivier wohnte seit fünf Jahren im Iran, sagte Olivier Van Steirtegem in der RTBF. Im letzten Jahr sei er nach Belgien zurückgekehrt, weil er keinen Job mehr im Iran hatte und entsprechend auch kein Arbeitsvisum. Nur habe er noch seine Sachen abholen wollen. Deswegen habe er also noch einmal ein Visum angefragt, das ihm auch bewilligt wurde.
Olivier Vandecasteele war privat im Iran, also nicht im Auftrag einer Hilfsorganisation, er hielt sich auch nicht illegal in dem Land auf. Dennoch wurde er nach seiner Ankunft sofort festgenommen.
Kritiker würden sagen, dass das belgische Außenministerium nicht umsonst eine Reisewarnung für den Iran ausgegeben hat.
"Moralische Pflicht"
Es ist in jedem Fall unsere moralische Pflicht, unschuldige Landsleute, die im Ausland festgehalten werden, zu befreien, sagte Justizminister Van Quickenborne.
"Klar! Wenn in der anderen Waagschale nicht ein verurteilter Terrorist läge", wandten aber viele Parlamentarier sinngemäß ein. Besonders scharf war Peter De Roover von der oppositionellen N-VA: Wenn wir das tun, dann wissen alle Schurkenstaaten dieser Welt, dass Belgien erpressbar ist.
Auch in den Reihen der Mehrheit war das Unbehagen spürbar. Viele forderten Garantien mit Blick auf die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und den Strafvollzug.
Wie die VRT berichtet, werde der zuständige Kammerausschuss dennoch voraussichtlich Mittwochvormittag den Gesetzesentwurf verabschieden. "Andere Länder tauschen auch Häftlinge mit dem Iran aus", sagt Justizminister Van Quickenborne. "Der Unterschied ist: Die machen das klammheimlich. Wir wollen das vertraglich regeln".
Roger Pint