Fast 20 Jahre lang warten einige der sechs Balkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien mittlerweile darauf, dass es endlich vorwärts geht mit ihrer Integration in die Europäische Union. Wenig überraschend also, dass hier und da Murren auf dem Balkan laut geworden ist angesichts des Eilvorgehens bezüglich eines offiziellen Status als „Beitrittskandidat“ für die Ukraine und auch für ihr kleines Nachbarland, die Republik Moldau.
Das sei eine Vorzugsbehandlung beziehungsweise eine Zwei-Klassen-Behandlung, so ein Vorwurf. Es ist also sicherlich im Interesse der EU, zu versuchen, diesen Unmut etwas zu besänftigen. Sicher nicht zuletzt auch, um Russland daran zu hindern, im Balkan noch stärker Fuß zu fassen und dort potenziell weitere Kriege oder Stellvertreterkriege vom Zaun zu brechen, etwa durch ein Schüren der Spannungen zwischen den Serben, die sich ja traditionell Russland verbunden fühlen und deren Nachbarn. Denn ein erneuter Balkankrieg beispielsweise um Bosnien und Herzegowina ist sicher keine auszuschließende Möglichkeit.
Daneben gibt es aber auch noch andere Spannungen, die zur Sprache kommen sollen. Das EU-Mitgliedsland Bulgarien etwa blockiert die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien. Europa stehe vor einem wichtigen Augenblick, erklärte Premier De Croo bei seiner Ankunft zum EU-Westbalkan-Gipfel. Russland sei bereit, alles zu tun, um Europa zu destabilisieren und das europäische Projekt zu zerstören. Die europäischen Länder müssten deshalb Unterstützung zeigen für diejenigen, die hoffnungsvoll nach Europa blickten.
Es sei das erste Treffen mit den Westbalkanstaaten seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, unterstrich De Croo. Die meisten von ihnen hätten sich aber in puncto Sanktionen gegen Russland vollständig an die europäische Linie angepasst. Es sei wichtig, gemeinsam mit den Westbalkanstaaten zu sehen, wie man sie in dieser für sie auch nicht einfachen Situation stärken könne. Man müsse auch darüber sprechen, wie man gemeinsam Europa stärken könne. Die Westbalkanstaaten befänden sich im Beitrittsprozess, betonte der belgische Premier. Deshalb müsse man ihnen auch mehr Deutlichkeit geben über ihre Perspektiven, wenn sie eine Anzahl Reformen bewältigt hätten.
Das große Thema des Tages werden aber zweifelsohne eben die Ukraine und Moldau sein. Und in geringerem Maß auch Georgien, das Putin ja bereits 2008 überfallen hatte und das trotz fortdauernder russischer Besetzung von rund 20 Prozent seines Staatsgebietes weiterhin in die EU strebt.
Der Ukraine den offiziellen Beitrittskandidaten-Status zu geben, sei ein wichtiges Signal, wiederholte De Croo mehrfach. Ein wichtiges Signal der Unterstützung für ein Land und eine Bevölkerung, die dabei seien, für die Ideale und Werte Europas zu kämpfen, für die Demokratie und für die Freiheit.
Man dürfe diejenigen, die Europa heute verteidigten, nicht wegstoßen. Es sei wichtig, ihnen die Hand zu reichen. Man wolle auch ein deutliches Signal aussenden, dass man am Wiederaufbau der Ukraine mitwirken wolle. Das sei etwas, was auch für belgische Unternehmen relevant sein könne.
In einem Punkt wollte der Premier aber auch keinerlei Missverständnisse aufkommen lassen: Bis die Ukraine tatsächlich Teil der Europäischen Union werden könne, liege noch ein sehr langer Weg vor ihr. Es seien sehr viele Reformen notwendig. Für Belgien sei es auch wichtig, dass alle Zugangsvoraussetzungen für einen Beitritt zur EU auch respektiert würden.
belga/dpa/cd