Die grundlegende Überarbeitung des belgischen Strafgesetzbuches ist eines der zentralen Anliegen des föderalen Justizministers Vincent Van Quickenborne. Gerade auch eine Reform des über 150 Jahre alten Sexualstrafrechts war ihm dabei sehr wichtig, um den Kampf gegen sexuelle Gewalt besser führen zu können. Mitte März hatte die Kammer grünes Licht für Van Quickenbornes Gesetzesentwurf gegeben, seit Mittwoch kann das Gesetz angewendet werden.
Wenn an einer Person sexuelle Handlungen vorgenommen werden, ohne dass deren ausdrückliche Zustimmung dazu vorliegt, liegt jetzt automatisch eine Straftat vor. Die exakten Umstände, unter welchen überhaupt die Rede sein kann von "Zustimmung", beziehungsweise wann eben nicht, machen einen wichtigen Teil der Überarbeitung des Gesetzes aus.
Grundsätzlich können Personen unter 16 Jahren keine Zustimmung mehr geben. Gewisse Ausnahmen sind aber für die Altersspanne zwischen 14 und 16 Jahren vorgesehen, wenn der Altersunterschied zum Partner höchstens drei Jahre beträgt. Ebenfalls explizit festgelegt ist, dass Minderjährige grundsätzlich nie Zustimmung zu Geschlechtsverkehr mit Blutsverwandten geben können.
Zustimmung ist auch prinzipiell ausgeschlossen, wenn die betroffene Person physisch nicht dazu in der Lage ist, die auch explizit und bewusst zu geben. Also während des Schlafes, weil sie zu betrunken oder nicht bei Bewusstsein ist. Darunter fällt auch, wenn der Täter das Opfer auf irgendeine Art und Weise unter Druck setzt, seine Zustimmung zu geben. Außerdem kann eine gegebene Zustimmung natürlich auch jederzeit zurückgezogen werden.
"Spiking" heißt Zustimmung wegnehmen
Neu ist der Straftatbestand des "Spikings", des Einbringens von Drogen, Medikamenten oder Betäubungsmitteln wie K.O.-Tropfen vor allem in Getränke mit dem Ziel, das Opfer seines freien Willens zu berauben. Deswegen zählt "Spiking" bei Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Übergriffen jetzt auch als erschwerender Umstand. "Spiking" sei eine Straftat mit Vorsatz, begründete Justizminister Van Quickenborne bei Radio Eén. Es sei eine Art Waffe, mit der Opfern der freie Wille genommen werde.
In Belgien gebe es aktuell rund 50 bekannte Fälle von "Spiking" pro Jahr. Er vermute jedoch eine hohe Dunkelziffer, also Opfer, die keine Anzeige erstatteten. Viele Opfer schämten sich, völlig zu Unrecht natürlich, stellte der Minister klar. Auch um hiergegen vorzugehen, werde ab jetzt strenger bestraft. Auch seien Anzeige erstatten und die entsprechenden Möglichkeiten zum Nachweis von "Spiking" deutlich einfacher gemacht worden für mögliche Opfer, etwa über die Betreuungszentren für Opfer sexueller Gewalt und verbesserte Untersuchungsmethoden.
Es sei wichtig, dass bei einem entsprechenden Verdacht schnell gehandelt werde, unterstrich Van Quickenborne. Denn die Drogen verschwänden sehr schnell aus Blut und Urin. Sichere man mögliche Spuren schnell, dann habe man zumindest einen Beweis.
Strafen werden schwerer
Einige bereits bekannte Straftaten werden außerdem schärfer definiert: Für eine Vergewaltigung etwa muss es nicht mehr zu einer vollständigen Penetration gekommen sein. Außerdem werden die Strafen schwerer. Wenn zudem erschwerende Umstände hinzukommen, wie etwa "Spiking", dann wird die Strafe noch höher: Mit bis zu 15 Jahren Gefängnis statt wie bisher zehn müssen Vergewaltiger dann rechnen.
Das heimliche Aufnehmen von Personen aus sexuellen Beweggründen gilt ab jetzt auch dann automatisch als Voyeurismus, wenn das Opfer dabei nicht nackt ist. Konkretes Beispiel: Frauen heimlich unter den Rock filmen oder fotografieren - dabei spielt es für den Straftatbestand Voyeurismus jetzt keine Rolle mehr, ob das Opfer dabei noch Unterwäsche trägt oder nicht.
Des Exhibitionismus strafbar machen können sich Personen jetzt auch, wenn sie sich dabei in privaten Räumlichkeiten aufhalten.
Hinzu kommen noch diverse begriffliche Änderungen. Aus "Kinderpornografie" wird beispielsweise "Bilder sexuellen Missbrauchs" und das (auf Niederländisch und Französisch) "Sittlichkeitsverbrechen" wird zum "Eingriff in die sexuelle Integrität", also Unversehrtheit.
Dekriminalisierung der Sex-Arbeit
Einen ganz anderen wichtigen Bereich betrifft die Reform aber auch noch: die Prostitution oder Sex-Arbeit. Die ist nämlich als Straftatbestand aus dem Gesetz herausgenommen worden. Eine formelle Legalisierung ist das wohlgemerkt nicht - aber eben eine Dekriminalisierung.
Dabei sei es darum gegangen, dieser spezifischen Form der Heuchelei ein Ende zu bereiten, führte der Justizminister aus. Jetzt könnten Menschen, die in diesem Bereich als Selbststständige tätig seien, etwa auch endlich legal und ohne Angaben irgendwelcher Pseudo-Berufsbezeichnungen effektiv Verträge abschließen, zum Beispiel zum Mieten von Räumlichkeiten, mit Anwälten, Buchhaltern oder Banken. Ein umfassender gesetzlicher Rahmen oder ein echtes Statut für diesen Sektor sei das jedoch immer noch nicht, gab der Justizminister zu, aber entsprechende Diskussionen liefen.
Boris Schmidt