Die Gästeliste ist dieses Mal allerdings deutlich weniger prominent besetzt. Die Russen sind wegen ihres Angriffskriegs auf die Ukraine sowieso verbannt worden. Aber auch andere Staatschefs wie Biden, Xi Jinping, Macron, Draghi oder Johnson sind nicht persönlich angereist.
Trotz der Abwesenheit doch einiger sehr mächtiger Menschen kann man natürlich keinesfalls sagen, dass das Treffen weniger wichtig wäre. Vielleicht ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Denn immerhin ist es der erste physische Post-Corona-Davos-Gipfel. Die Veranstaltung steht dieses Jahr unter dem Motto "Geschichte am Wendepunkt". Das ist sicher auch kein Zufall angesichts der vielen Krisen - darunter sicher nicht zuletzt der brutale Überfall Putins auf sein Nachbarland, aber es geht bei den Debatten auch um andere große Bedrohungen, zum Beispiel in puncto Klimawandel, Cybersicherheit und Gesundheit.
Angesichts der großen Herausforderungen und Probleme herrscht bei der globalen Wirtschafts-, Finanz- und Politik-Elite wenig überraschend ein Gefühl vor, wie auch Premier De Croo im Interview mit der VRT bestätigte. Es gebe sehr viel Unruhe und das auch aus gutem Grund: Es herrsche Krieg in Europa mit sehr großen Folgen für die Sicherheit der Menschen, aber auch für die Wirtschaft, die Preise und andere Bereiche. Das werde man nur überstehen, wenn man zusammenarbeite. Und man müsse sich auch gegenseitig beruhigen, dass man das auch tatsächlich wirtschaftlich schaffen werde. Allgemeine Panik mache jedenfalls alles nur schlimmer.
Deswegen besteht ein Teil der Mission der Belgier in Davos logischerweise auch darin, zum Beispiel potenzielle Investoren davon zu überzeugen, dass das Land ein zuverlässiger und lukrativer Standort und Partner ist, sowie die Stärken der belgischen Wirtschaft und Forschung herauszustellen.
Der Premier hat aber auch noch andere Botschaften im Gepäck, die eher politischer Natur sind. Die Europäer würden an verschiedenen Fronten bedroht, führte De Croo aus. Europa leide natürlich auch unter dem Ukraine-Krieg. Aber genauso leide es darunter, dass Russland versuche, seine Energiepolitik zu missbrauchen. Außerdem betreibe das Land – wenn auch nicht als einziges – in ganz Europa Desinformationskampagnen. Putin versuche auch, Migration zu instrumentalisieren, wie man ja in Belarus gesehen habe.
Wenn sich Europa gegen diese Destabilisierung zur Wehr setzen wolle, dann spiele natürlich die Verteidigung eine sehr wichtige Rolle. Aber eben nicht die einzige, denn auch viele andere Bereiche seien sehr wichtig. Das hatte De Croo übrigens kurz davor auch bei einer Paneldiskussion mit unter anderem dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigt, in der der belgische Premier auch erneut für eine stärkere, einheitlichere und effizientere europäische Zusammenarbeit bei der Verteidigung geworben hatte.
In diesem Zusammenhang wollte der Premier in Davos noch etwas anderes klarstellen zu seinen Aussagen, dass Verteidigung mehr als nur Militär umfasse. Nein, er sei nicht auf der Suche nach einer anderen Definition von "Verteidigungsausgaben", um den Konflikt zu entschärfen mit seinen grünen Koalitionspartnern. Die sperren sich ja gegen De Croos Wunsch, das Militärbudget bis 2035, wie von der Nato vorgegeben, auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzuheben. Nein, das sei absolut nicht der Grund für seine Aussagen in Davos gewesen, unterstrich der Premier. Außerdem stehe er weiter dazu, dass die Nato als kollektiver Verteidigungsmechanismus nur funktionieren könne, wenn jedes Mitglied seinen Beitrag leiste.
Eine andere Aussage des liberalen Premiers ließ übrigens auch noch aufhorchen. Er könne sich sehr gut vorstellen, dass eingefrorenes russisches Oligarchen-Vermögen zum Wiederaufbau der Ukraine eingesetzt werde. Diesen Vorschlag hatte ja EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemacht. Allerdings brauche es dafür eine solide gesetzliche Grundlage, man operiere ja nicht nach Cowboy-Manier außerhalb des Gesetzes.
Boris Schmidt