"Ja, bei dem Toten handelt es sich um Jürgen Conings": Eine Sprecherin der Föderalen Staatsanwaltschaft bestätigt am 20. Juni 2021, dass der Mann, der damals als "Staatsfeind Nummer eins" galt, tot ist. Es war das Ende einer Hetzjagd, die fast genau einen Monat vorher begonnen hatte.
Am 17. Mai 2021 verschwindet Jürgen Conings von der Bildfläche. Der damals 46-Jährige hat sich zuvor allerdings noch mit einem ganzen Waffenarsenal eingedeckt: vier Panzerabwehrwaffen, ein Maschinengewehr, eine Pistole, daneben 2.000 Schuss Munition und eine kugelsichere Weste. Der Berufssoldat hat sich einfach in seiner Kaserne im limburgischen Leopoldsburg bedient, ist quasi mit dem Kriegsmaterial unterm Arm aus der Waffenkammer spaziert.
Die noch verbleibenden Alarmglocken schrillen dann, als offensichtliche Abschiedsbriefe von Conings auftauchen, in denen er mehr oder weniger direkt Gewalttaten ankündigt. Im Fadenkreuz insbesondere der Virologe Marc Van Ranst, der dann auch schnellstens mit seiner Familie in eine sichere Wohnung gebracht wird. Wie sich später herausstellt, hat Conings dem Wissenschaftler tatsächlich in der Nacht vor seinem Untertauchen vor dessen Wohnung aufgelauert. Nur war Van Ranst an diesem Tag später nach Hause gekommen als sonst.
Was das Ganze zum Skandal macht: Conings stand zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Gefährderliste des Anti-Terrorstabs Ocam. Unter anderem wegen rechtsextremer Umtriebe und rassistischer Übergriffe. Außerdem hatte er sich in rechtsextremistischen Internet-Foren schon 2020, also ein Jahr zuvor, nach der genauen Adresse von Marc Van Ranst erkundigt. Er wurde damals in dieser Sache sogar verhört.
Für Conings bestand von da an Terrorwarnstufe drei auf einer Skala bis vier. Die Information ist aber offensichtlich nicht bis zu allen Ebenen durchgedrungen. Fakt ist jedenfalls, dass ein Berufssoldat, der auf der Liste potenzieller Terroristen stand, immer noch Zugang zu schweren Waffen hatte.
In der Folge läuft jedenfalls eine beispiellose Großfahndung an. Nach der Entdeckung des Autos von Jürgen Conings konzentriert sich die Suche auf den nahegelegenen Nationalpark Hohe Kempen, dabei sind hunderte Polizisten und Soldaten im Einsatz. Die Suche bleibt lange erfolglos. Bis Freizeitsportler am Morgen des 20. Juni plötzlich auf Verwesungsgeruch aufmerksam werden. Wenig später wird tatsächlich eine Leiche entdeckt. Ersten Erkenntnissen zufolge soll sich Jürgen Conings schon kurz nach seinem Untertauchen das Leben genommen haben.
Wann genau? Schon zu Beginn der Untersuchung schien viel darauf hinzuweisen, dass Conings schon am 18. Mai tot war, also am Tag nach seinem Verschwinden. Dass man ihn nicht gefunden hat, ist eine Geschichte nach dem Motto: "Dumm gelaufen". Der Fundort der Leiche lag nur wenige Meter außerhalb des Suchradius, und weil das Gelände so dicht bewachsen und unzugänglich ist, hat man ihn schlichtweg nicht sehen können.
Zwei Fragen
Trotz des Todes des Hauptverdächtigen liefen die gerichtlichen Untersuchungen aber weiter. Ermittelt wurde immer noch wegen Terrorismusverdachts, Mordversuchs und Verstoßes gegen die Waffengesetzgebung. Die Polizei- und Justizbehörden konzentrierten sich dabei auf zwei Punkte.
Erstens die Frage, ob Conings Komplizen hatte. Laut Medienberichten kommen die Ermittlungen zu dem Schluss, dass Conings alleine gehandelt hat und dass es also keine Mitwisser gab. Zweiter Punkt: die genauen Todesumstände. Um diese Frage ranken sich ja bis heute die tollsten Verschwörungserzählungen. Zum Beispiel, dass Jürgen Conings "exekutiert wurde, weil er zu viel wusste".
Anscheinend kommen die Ermittler zu dem Schluss, dass sich der Terrorverdächtige tatsächlich am 18. Mai erschossen hat. Vor allem ein Indiz spricht für diese These: Bei Conings' Leiche wurde ein Smartphone gefunden, von dem die Fahnder seinerzeit nichts wussten. Dieses Smartphone hat am 18. Mai aufgehört zu funktionieren. Aufgezeichnet wurden bis dahin 800 Schritte. 800 Schritte, ein halber Kilometer. Weit ist er also nicht gekommen.
Die zahlreichen Verschwörungsgläubigen werden diese Ermittlungsergebnisse wohl kaum überzeugen. Rechtsextremisten und auch russische Webseiten hatten Fachleuten zufolge seinerzeit massiv zur Verbreitung von allerlei Komplott-Thesen beigetragen. Immer noch gibt es an dem Ort, wo die Leiche von Conings entdeckt wurde, eine kleine Gedenkstätte: Ein paar Fotos, ein paar emotionale Botschaften und ein flämischer Löwe, drapiert unter anderem mit roten Mohnblüten.
Roger Pint