In seiner Rede zum Europatag in der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit war eine der zentralen Botschaften des Premierministers, dass der Europäische Traum wiederhergestellt werden müsse. Europa und die Länder Europas müssten ihr Versprechen halten, die Menschen zu schützen - gerade in diesen bewegten Zeiten. Denn nur so könnten die Menschen sich sicher und dabei unterstützt fühlen, an einer Gesellschaft zu bauen, in der alle frei leben könnten, so De Croo mit deutlichem Blick auf die militärischen, politischen und sicher nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Bedrohungen durch autokratische Regime.
Europa stehe heutzutage an einer Weggabelung, bekräftigte der Premier am Dienstag auch bei Radio Eén. Was man bekanntermaßen auf einer Kreuzung nicht tun dürfe, das sei zu zögern und einfach stehenzubleiben. Europa stehe aktuell so stark unter Druck, zum Beispiel wegen des Ukraine-Krieges, dass die Gefahr einer Auflösung bestehe, dass die Mitgliedsstaaten gegeneinander ausgespielt würden. Das sehe man etwa bei den hohen Energiepreisen oder bei der unzureichenden Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen.
Die Alternative zu so einem Schicksal sei für ihn klar: Europa müsse enger zusammenrücken - und zwar seiner Meinung nach vor allem in drei Gebieten: Erstens, was die Verteidigung betreffe. Europa müsse zu einem echten militärischen Pfeiler der Nato werden. Wenn es um die eigene Sicherheit gehe, dürfe man nicht vollkommen abhängig sein von den Vereinigten Staaten. In diesem Zusammenhang erinnerte De Croo auch explizit daran, dass die aktuelle Situation im Konflikt mit Russland mit einem anderen Präsidenten im Weißen Haus ganz anders aussehen könnte als jetzt. Auch ohne einen Donald Trump gebe es in Washington noch immer die "America-First"- , die "Amerika-zuerst"-Einstellung. Die transatlantische Zusammenarbeit sei für ihn essenziell, er glaube an sie. Aber die Sicherheit Europas dürfe doch nicht zu einem Glücksspiel werden, je nachdem wer der nächste US-Präsident werde.
In kollektive Verteidigung investieren
Das gelte zum Beispiel auch für die Verteidigungs- und Rüstungsindustrie. Der Ukraine-Krieg sei zweifelsohne ein prägender Augenblick, man werde mehr in die kollektive Verteidigung investieren müssen. Aber einfach nur mehr Geld auszugeben, löse die grundlegenden Probleme nicht: Man sei hochgradig von den Vereinigten Staaten abhängig. Außerdem sei auf europäischer Ebene einfach alles viel zu zersplittert. Er plädiere aber nicht etwa für eine gemeinsame europäische Armee, stellte De Croo erneut klar. Ihm gehe es um eine stärkere Vereinheitlichung, eine engere und bessere Zusammenarbeit beim Aufbau und der Versorgung der europäischen Verteidigung. Das betreffe neben der Entwicklung und Produktion beispielsweise auch den Kauf von Ausrüstung. Der Aufbau von mehr eigener für die Verteidigung relevanter Industrie käme dann über die getätigten Investitionen und erworbenen Kenntnisse auch wieder den Ländern selbst und der Gesellschaft zugute. Gerade Belgien könne mit seiner Kooperation mit den Niederlanden und Frankreich in diversen Verteidigungsdomänen ein Vorbild für Europa sein.
Ein zweiter, nicht minder wichtiger Punkt sei natürlich die Energie: Die EU-Länder müssten untereinander mit erneuerbarer Energie aus lokaler Produktion handeln, anstatt bei Strom und Gas von Ländern wie Russland abhängig zu sein.
Der dritte und letzte Punkt, bei dem Europa "vereinigter" auftreten müsse, ist dann politisch beziehungsweise geopolitisch in der eigenen Nachbarschaft: Hier müsse Europa eine größere Rolle spielen, forderte der Premier.
Die Interessen eines Landes mit einer so offenen Wirtschaft wie Belgien würden nicht nur im Inland verteidigt, sondern auch im Ausland. Belgien müsse ein elementares Interesse an einer positiven Zukunft des Kontinents haben. Er habe nur eine einzige Priorität bei der Entwicklung der Welt und der Richtung, die Europa einschlage: Wenn sich Europa in die richtige Richtung entwickele, dann sei das gut für alle Belgier. Eine Politik zum Schutz der Bürger, das stehe für ihn an oberster Stelle, betonte der Premier.
Boris Schmidt