Die Brüsseler Stadtgemeinde Molenbeek ist spätestens seit den Anschlägen von Paris und Brüssel über die Grenzen hinaus bekannt. Molenbeek galt - und gilt wohl immer noch - als der Inbegriff von Ghettoisierung und Integrationsproblemen. Wenn der frühere US-Präsident Donald Trump Brüssel einmal als ein "Höllenloch" bezeichnet hat, dann hatte er dabei vielleicht sogar Molenbeek vor Augen.
Jetzt hat sich Conner Rousseau, der Vorsitzende der flämischen Sozialisten Vooruit, über Molenbeek geäußert und hat damit viel Staub aufwirbelt - weil er dabei nämlich ziemlich unnuanciert eben die gängigen Klischees bedient hat.
"Wenn ich durch Molenbeek fahre, dann habe ich auch den Eindruck, nicht mehr in Belgien zu sein." Dieses Sätzchen aus dem flämischen Wochenmagazin Humo sorgt derzeit für ziemlichen Wirbel und zum Teil wütende Reaktionen - vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums. Bemerkenswerterweise kommt der Mann, der dieses Sätzchen ausgesprochen hat, ja nun aber eigentlich ebenfalls aus genau diesem Lager.
"Man muss doch wissen, was man will", sagte Rousseau später in der VRT. "Man erwartet von Politikern, dass sie ehrlich sind. Nun, wenn man mich fragt, wie ich mich fühle, wenn ich durch Molenbeek fahre, dann sage ich, dass ich in solchen Momenten nicht immer den Eindruck habe, dass ich noch in Belgien bin", sagt Rousseau. Das sei kein Werturteil, sondern nur ein Gefühl. Und mit diesem Gefühl sei er nicht alleine.
Bei dieser Darstellung gibt es allerdings schon ein Problem: Die Wochenzeitschrift Humo hatte Molenbeek gar nicht erwähnt. In der Frage ging es um die französische Präsidentschaftswahl und die Tatsache, dass das Thema Integration im Wahlkampf so viel Raum eingenommen hatte.
Drei Viertel der Franzosen haben in einer Umfrage angeben, dass sie wieder das Gefühl haben wollen, in ihrem eigenen Land zu leben. Es war dann Rousseau, der in seiner Antwort das Beispiel Molenbeek anführt, wo er sich dann eben nach eigener Aussage auch nicht mehr in Belgien fühlt.
Zunächst ist es genau das, was man ihm vorwirft: Dass er Molenbeek quasi ungefragt ins Feld geführt hat. "Rousseau hätte auch seine Heimatstadt Sint-Niklaas als Beispiel heranziehen können", reagieren Brüsseler Politiker. Dort sei die Situation durchaus vergleichbar. Aber nein! Immer hackt man auf Brüssel und insbesondere Molenbeek.
Applaus kam demgegenüber freilich von der rechten Seite. N-VA-Chef Bart De Wever ärgerte sich etwa genau über den Wirbel, der auf der linken Seite gemacht wird, nach dem Motto: "Man darf noch nicht mal die Probleme benennen."
Dann kommt aber ein Punkt, an dem das Ganze wirklich nach einer verbalen Entgleisung aussehen mag: In Brüssel gebe es Lehrer, die ihren Unterricht auf Arabisch geben, weil sie kein Französisch können, sagt Rousseau in Humo. Und das sei natürlich inakzeptabel.
"Wie kommt Rousseau auf eine solche Aussage?", fragte sich in der RTBF Sven Gatz, Brüsseler Regionalminister für die OpenVLD. Nicht nur, dass Rousseau die altbekannten Klischees und Vorurteile gegenüber Brüssel und Molenbeek bedient, obendrauf zieht er dann auch noch Vorwürfe an den Haaren herbei, die er nicht beweisen kann.
Rousseau selbst ging später in der VRT nicht mehr so sehr auf die angeblich Arabisch sprechenden Lehrer ein, sondern plädierte nur noch nachdrücklich dafür, dass Kinder möglichst früh und intensiv an die Landessprachen herangeführt werden, um ihnen die besten Chancen in der Schule zu geben und dann auch auf einen guten Job. Das sei im Interesse aller und in erster Linie auch der Kinder.
"Wenn das die Botschaft von Conner Rousseau ist, warum verpackt er sie dann so unglücklich?", reagieren seine Kritiker. Es sei bestimmt nicht verboten, über die Integrationsprobleme nachzudenken oder sie auch anzuprangern - und natürlich auch in Brüssel. Die Frage ist nur, wie man das tut.
Nichts anderes sagt auch PS-Chef Paul Magnette, also Rousseaus frankophoner Kollege. Er verstehe ja, dass Rousseau sich mit seinen Aussagen an die flämische öffentliche Meinung wendet, sagte Magnette in der RTBF. Er verstehe auch, dass Rousseau eigentlich nur dafür plädieren will, dass die Menschen die Landessprache lernen. Das könne man ja auch nur unterstützen. Die Art und Weise, wie Rousseau das sagt, indem er eben mit allerlei Klischees und Vorurteilen jongliert, die in Flandern über Brüssel kursieren, sei allerdings nicht nur unglücklich, sondern auch inakzeptabel.
Kopfschütteln erntet Rousseau auch bei Catherine Moureaux, ebenfalls Sozialistin und ihres Zeichens Bürgermeisterin von Molenbeek. Sie hat den flämischen Genossen denn auch kurzerhand nach Molenbeek eingeladen. "Damit er auch mal das wahre Brüssel sieht, das wahre Molenbeek" - und damit er eben künftig weiß, wovon er spricht.
Roger Pint