Der 24. Februar 2022 ist bereits jetzt als ein Datum in die Geschichtsbücher eingegangen, das potenziell sehr weitreichende Folgen haben wird. Das sah auch der belgische Nato-Botschafter Pascal Heyman bei Radio Eén so. Die Welt habe sich durch den Angriff Russlands auf die Ukraine grundlegend verändert. Und die Verantwortung dafür liege nicht etwa beim Nato-Hauptquartier in Brüssel - sondern vollständig beim Kreml im Moskau.
Putin habe geglaubt - und tue das noch immer, dass er durch seinen Angriff die Tür zur Nato für die Ukraine zuschlagen könne. Diesen Versuch bekomme er jetzt wie einen Bumerang zurück ins Gesicht: Durch seine Invasion habe er nämlich zwei andere Länder, Finnland und Schweden, in Richtung einer Nato-Mitgliedschaft getrieben; zwei traditionell neutrale Länder also, die davor kein echtes Interesse an so einem Schritt gehabt hatten.
Putin habe ohnehin das genaue Gegenteil von dem erreicht, was er noch im Dezember als Hauptbeweggrund vorgegeben habe. Anstatt einen Abzug der Nato-Truppen aus den östlichen Staaten des Verteidigungsbündnisses habe er schon jetzt eine Verstärkung der gesamten Nato-Ostflanke bewirkt. Also mehr Nato-Truppen an den an Russland angrenzenden Mitgliedsstaaten als vorher. Und quasi zu allem Überfluss könnten, falls Finnland und Schweden tatsächlich einen Beitrittsantrag stellten, die Grenzen zwischen Russland und Nato-Staaten jetzt massiv länger werden. Denn Finnland hat neben einer Seegrenze auch noch eine 1.340 Kilometer lange Landgrenze zu Russland.
Die Reaktionen aus dem Kreml auf die militärisch-politischen Entwicklungen im Norden überraschen den belgischen Nato-Botschafter deshalb nicht. Der stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates Russlands, Dmitri Medwedew, hatte ja mit scharfen Konsequenzen gedroht, falls Finnland oder Schweden dem Verteidigungsbündnis beitreten sollten, unter anderem sprach er von mehr Atomwaffen im Baltikum.
Für Heyman sind das aber in erster Linie Drohungen, Russland versuche so, die beiden skandinavischen Länder einzuschüchtern. Auch andere Beobachter gehen davon aus, dass Russland aktuell durch den Verlauf des Ukraine-Kriegs eher nicht in der Lage und willens ist, noch eine neue Front zu eröffnen.
Für den Vertreter Belgiens sind die polternden Drohungen aus Moskau aber ohnehin nicht der entscheidende Faktor. Erstens sei die Nato ein Verteidigungsbündnis. Der Beitritt eines Landes führe also nie zu einer größeren Bedrohung Russlands. Außerdem könne jedes Land, das bestimmte Bedingungen erfülle, einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Das sei seine freie Entscheidung und Dritte, wie Russland, hätten kein Einspruchsrecht. Das gelte im Übrigen nicht nur für Schweden und Finnland, sondern natürlich auch für die Ukraine und Georgien.
Heyman sieht in der aktuellen und potenziell zukünftig noch breiteren Konfrontation zwischen Russland und der Nato auch nicht mehr nur den klassischen Konflikt zwischen dem Osten und dem Westen wie etwa im Kalten Krieg. Es gehe um viel mehr. Das Problem sei Putins Geisteshaltung. Er glaube, dass für Putin weniger die Nato an sich die Bedrohung sei, führte Heyman aus. Vielmehr sei es das westliche Gesellschaftsmodell, die Demokratie, das Putin als Diktator als Bedrohung für sein Regime sehe, so wie natürlich auch andere Diktatoren auf der Welt.
Er glaube auch nicht wirklich an das Konzept von neutralen Staaten als Puffer zwischen Machtblöcken oder Einflusssphären, fügte der Nato-Botschafter noch hinzu. Dass das nicht gut funktioniere, sehe man ja auch an der aktuellen Situation. Grauzonen hätten nie funktioniert und würden auch nicht toleriert. Deswegen glaube er, dass es besser sei, deutlich zu sagen, wie sich ein Land im internationalen Sicherheitskontext positionieren wolle.
Boris Schmidt