Die Bedingungen für die Anerkennung von Religionsgemeinschaften in unserem Land sind nirgends festgelegt und deshalb unzureichend und diskriminierend, so Straßburg.
Justizminister Vincent Van Quickenborne (Open VLD) sagt, er wolle die Diskussion über einen rechtlichen Rahmen eröffnen. Diese Debatte ist jedoch mit politisch heiklen Fragen verbunden. Denn es geht ja darum, wie die Finanzierung von Religionsgemeinschaften organisiert werden soll. Der Minister selbst spricht sich für die Einführung einer "Kirchensteuer" aus.
Die Anerkennung für Religionsgemeinschaften ist deshalb so wichtig, weil nur anerkannte Religionen in Belgien mit staatlicher Unterstützung rechnen können, etwa bei der Zahlung von Gehältern und Pensionen für Geistliche, die Gottesdienste abhalten.
Sechs Religionen sowie der organisierte Säkularismus anerkannt
Belgien erkennt derzeit sechs Religionen an: die katholische, die jüdisch-israelische, die anglikanische, die protestantisch-evangelische, die islamische und die orthodoxe. Seit 2002 ist auch der organisierte Säkularismus anerkannt - auch bekannt als Laizismus. Also sind es eigentlich sieben. Letztere würden sich natürlich nicht als Glaubensgemeinschaft bezeichnen, sondern als undogmatische oder freigeistige Humanisten.
Die Anträge der Buddhisten und Hindus zeigen, wie willkürlich das Anerkennungsverfahren sein kann. Die Buddhisten in unserem Land haben sich bereits 2005 beworben. Diese Anerkennung wurde wiederholt versprochen, auch von der derzeitigen Regierung, ist aber immer noch nicht Realität. Die Anhänger des Hinduismus fordern seit 2013 erfolglos die Anerkennung. Das Kabinett des Justizministers teilte mit, dass ein Gesetzentwurf über den Buddhismus in Arbeit ist.
Hunderte Millionen Euro staatliche Unterstützung jährlich
Im Jahr 2020 zahlte die Regierung rund 101 Millionen Euro für die Gehälter der 3.509 anerkannten Priester, Rabbiner, Imame und laizistischen Berater. Ein Erzbischof zum Beispiel verdient mehr als 110.000 Euro brutto im Jahr. Doch die gesamte staatliche Unterstützung ist immer noch ein Vielfaches davon. Denn der Staat zahlt wie schon erwähnt auch die Renten. Die Gemeinden und auch die Provinzen investieren zudem in die Instandhaltung tausender (Kirchen-)Gebäude. Im Jahr 2015 beliefen sich die Kosten nach Angaben der Nationalbank auf insgesamt 315 Millionen Euro. Eine etwas aktuellere Berechnung spricht von etwa 80 Euro pro Einwohner und Jahr.
Diese Ressourcen sind sehr ungleichmäßig verteilt. Von den vom Staat bezahlten Geistlichen gehören 81 Prozent der katholischen Kirche an. Etwa zehn Prozent sind laizistisch und kaum 2,5 Prozent sind Muslime, während doch ein viel höherer Prozentsatz der Bevölkerung Muslime sind.
Da stellt sich die Frage, warum die katholische Kirche so privilegiert ist: Wer als Priester, Imam, Rabbiner oder sonstiger Geistlicher ein staatliches Gehalt erhalten will, muss einer anerkannten örtlichen Religionsgemeinschaft angehören.
Für diese Anerkennung sind die Gemeinschaften zuständig. Uns liegen die Zahlen aus Flandern vor: Dort sind bislang nur 27 Moscheen anerkannt worden. Das ist nichts im Vergleich zu den 1.588 römisch-katholischen Kirchen.
Die lokale Anerkennung erklärt die Diskrepanz jedoch nur zum Teil. Schwerer wiegt, dass die Finanzierung der katholischen Kirche - aufgrund eines Abkommens, das auf die napoleonische Zeit zurückgeht - nicht von der Zahl der Gläubigen abhängig ist. Für die anderen Glaubensgemeinschaften gilt diese Abhängigkeit wohl.
Alternativen zur bisherigen Finanzierung
Es gibt auch Alternativen zu dieser Finanzierungsmethode: In Ländern wie Deutschland, Österreich, Italien, den skandinavischen Staaten und Teilen der Schweiz gibt es eine Art Kirchensteuer. Die Bürger geben an, ob und welcher Religion sie angehören. Dementsprechend verteilt sich auch die Finanzierung. Dieses System kann eine große Wirkung haben. Seit 2010 sind mehr als zwei Millionen Deutsche aus der katholischen Kirche "ausgetreten".
Eine ähnliche Alternative besteht darin, bei Wahlen nach den Präferenzen aller zu fragen. Beides würde jedoch eine Änderung der belgischen Verfassung erfordern. Dem belgischen Staat ist es nämlich untersagt, die Bürger dazu zu verpflichten, ihre Religionszugehörigkeit anzugeben (Artikel 20 und 21).
Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die staatlichen Beihilfen ganz abzuschaffen. Das wäre bestimmt die einfachste Lösung - aber nicht immer im Sinne von politischen Gruppierungen. Sozialistische und liberale Parteien haben immer wieder mal dafür plädiert, ein Kirchensteuersystem in Belgien einzuführen. Konservative Parteien wie die CD&V oder die N-VA widersetzen sich. Wenn man zulässt, dass mehr Geld an den Islam und weniger an den Katholizismus fließt, ist das auch politisch sehr heikel. Das derzeitige Finanzierungssystem fußt zudem auf einer alten Vereinbarung zwischen Gläubigen und Liberalen, die auf den Ursprung Belgiens zurückgeht.
Außerdem ist das derzeitige staatliche Finanzierungssystem der Glaubensgemeinschaften in Artikel 181 des Grundgesetzes verankert. Um ihn zu ändern, muss der Artikel vor den Wahlen im Föderalparlament für revidierbar erklärt werden, wobei für die Änderung nach diesen Wahlen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.
Paukenschlag: Belgisches System zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften gekippt
destandaard/mz
Eines steht fest : die bequemen Zeiten für die katholische Kirche sind zu Ende. Bis jetzt konnten die schalten und walten, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Jetzt muss sie die Menschen überzeugen von ihrer Sache, denn nur überzeugte Gläubige zahlen (nach welchen System ist nicht so wichtig). Ich hoffe, dass der Druck groß genug ist, um längst fällige Reformen zu verwirklichen.
Religionen halten sich nicht an Gesetze, sollen aber vom Staat finanziert werden....
Vielen Dank für diesen interessanten und ausführlichen Artikel in die belgische Rechtswelt!
Will man wirklich den schon über Gebühr belasteten Arbeitnehmern in Belgien auch noch eine Kirchensteuer aufzwingen? Wenn sich da die Religionsgemeinschaften mal nicht selber mit schaden!
In Deutschland gibt diese überflüssige Allianz von Kirche und Staat bei der Erhebung der Kirchensteuer, welche an die Lohn- und Einkommensteuer gekoppelt ist. Da durch den erklärten Austritt aus der Kirche die Kirchensteuerpflicht endet kommt so manch einer auf die Idee, den Religionsgemeinschaften den Rücken zu kehren.
Religion ist Privatsache und muss auch beim Thema Geld so behandelt werden.
Die können ja wieder ihren Ablasshandel zur Selbstfinanzierung neu beleben, das würde den Börsen bestimmt gefallen... und gefällige Sünder gibt es ja auch zur Genüge, besonders in den Parteien die davor oder danach ein unehrliches 'Christlich' und/oder 'Sozial' im Logo tragen...
Herr Michaelis
Theoretisch ist Ihre Idee gut. Es gibt da aber gewisse praktische Probleme...
Es mangelt einem Ablassbrief u.a. an Überprüfbarkeit, d.h man weiß nicht, ob die versprochene Leistung (Seelenheil) auch wirklich erbracht wurde. Man muss sich auf das Versprechen der katholischen Kirche verlassen. Nur was die Wert sind nach all den Skandalen, ist schwer zu sagen. Daher würde ich so einen Ablassbrief nicht kaufen.
Wegen dieser ‚ Kirchensteuern‘ sind auch sehr viele Menschen schon , in Deutschland, aus der Kirche ausgetreten …..
Und seit den nicht aufhörenden Missbrauchs - Skandalen der katholischen und auch evangelischen Kirchen kehren sowieso tausende der Kirche -zu recht - den Rücken zu.
Herr Schallenberg, die Kirchensteuer wird niemandem aufgezwungen, das ist ein ganz freiwilliger Beitrag für Mitglieder. Dass man in D nur weil man ungefragt getauft wurde automatisch Steuern zahlen MUSS und wenn man das nicht will, mit viel Aufwand 'aus der Kirche austreten' muss, ist deren Sache. Die Belgier, die auch eine starke laîstische Bewegung haben, werden wohl freiwillig beitreten können/wollen, da kann der Staat nicht von irgendeiner erzwungenen Taufe ausgehen. Alle anderen Gemeinschaften jeder Richtung und Leistung müssen auch Ihre Beiträge selbst eintreiben. Sie sagen es ja am Ende selbst, Religion ist Privatsache. Hier muss man nicht austreten, hier geht man einfach nicht mehr hin und gut ist.
In DE ist es so dass wenn man eine Gütergemeinschaft als Ehepartner bildet, wird die Kirchensteuer auf das Gesamteinkommen erhoben. Tritt nun ein Ehepartner aus, bezahlt der andere faktisch doppelt, und kann sich dagegen nicht wehren. Wenn er zum Steueramt geht, sagen die, 'wir erheben nur die Steuer', ob das musst du mit dem Bistum reden. Wenn sie zum Bistum gehen sagen die, 'wir haben nichts mit der Erhebung zu tun', das macht das Steueramt.. Dann stehen sie da und kucken blöd ! In Deutschland leistet somit das Steueramt Beihilfe bei Diebstal ! So geht Politik in DE!
Glaube kann jeder haben wie er mag, Religion funktionniert nur gemäss dem Gruppenzwang, das ist Politik pur ! Jede Religion sollte daher ihre Parteimitglieder bezahlen, für die geleistete Unterstützung !
Noch eine Steuer mehr...Dann zahle ich statt 55% halt 60%...
Die Obergrenze ist unendlich...
Herr Piersoul, es ist keine Steuer, es ist ein Mitgliedsbeitrag, den Sie jederzeit abbestellen können. Vielleicht sind Sie in einem Sportverein oder einem Kulturverein, dann zahlen Sie auch Mitgliedsbeitrag. Es steht keinesfalls fest, dass es sich hier (wie in D) um einen festen Prozentsatz des Einkommens handeln wird, ausserdem zieht sich das noch Jahre, die Belgier wissen doch überhaupt nicht wer wie getauft ist oder nicht. Diese Frage ist NICHT erlaubt, beim Arbeitgeber nicht und auch sonst nicht.
Frau van Straelen: vielen Dank fürIhre Erläuterungen, wieder dazugelernt! Belgien erscheint mir auch hier einmal mehr fortschrittlicher zu sein.
Sie sprechen die erzwungenen Taufen an, die ja in Deutschland letztlich zur Kirchensteuerpflicht führen. Ein weiteres Argument gegen eine Taufe ohne ausdrückliche Einwilligung des Täuflings.
"Ohne Gott und gegen Kirche"... bedeutet Aufklärung und Abkehr von Indoktrinierung und Götzenanbetung.
Wir brauchen mehr Querdenker!😉
Guten Abend Herr Leonard.
"Ohne Gott und gegen Kirche" hat zur Folge, daß irgendwelche Menschen als Götzen verehrt werden wie zum Beispiel Kim il-sung, Mao Zedong. Und die fordern auch ihren Tribut.
Oder solche Gestalten wie Lauterbach, Merkel, ......werden verehrt. Das ist genauso, wie Galle trinken.
Herr Piersoul, und noch was zu Ihrer 'Steuerzahlung". Die max. Steuer für Arbeitnehmer liegt in Belgien bei 50% und da muss man ein Einkommen abzüglich der Sozialabgaben von über 40.000 Euro/Monat haben. Glückwunsch! Wahrscheinlich sind für Sie der Unterschied zwischen Bruto und Netto alles Steuern. Die erst vom Brutogehalt abgezogenen Sozialabgaben sind VERSICHERUNGSbeiträge gegen Risiko (Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität) sowie Beiträge für Kindergeld und der Aufbau der eigenen Rente. Vom Arbeitnehmer werden hierzu um die 13% abgezogen und der Arbeitgeber muss ca 43% dazulegen, wodurch eine ziemlich gute Sozialleistung für alle dabei rauskommt. Es lohnt sich, die Sache mal wirklich zu analysieren statt immer nur über Steuern zu meckern.