Die letzten Wirtschaftsprognosen der Nationalbank liegen eigentlich noch nicht lange zurück – sie stammen von Ende Dezember. Wegen der Invasion der Ukraine hat sich die Nationalbank aber genötigt gesehen, ihre Einschätzungen für dieses und die kommenden zwei Jahre anzupassen.
Der Ukraine-Krieg wirke sich ganz bestimmt auf die belgische Wirtschaft aus, so der Vizegouverneur der Nationalbank, Steven Vanackere, am Montagmorgen bei Radio Eén. Aber nicht so stark. Grund dafür ist unter anderem eine Art wirtschaftlicher Endspurt in den letzten Monaten. Der sorgt dafür, dass das belgische Wirtschaftswachstum wohl weniger stark in Mitleidenschaft gezogen wird, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre.
Natürlich müsse auch die Nationalbank mit Annahmen und Hypothesen arbeiten, wie Vanackere einräumte. Aber: Egal wie, auf Basis ernsthafter Annahmen und mit verteidigbaren Hypothesen gehe die Nationalbank davon aus, dass die belgische Wirtschaft noch ziemlich gut davonkommen werde, das Wachstum werde nicht vollkommen ins Stocken geraten. Normalerweise sollte man das mithilfe der belgischen Wirtschaft und Menschen in den Griff bekommen.
Wirtschaftswachstum
Konkret geht die Nationalbank davon aus, dass der Krieg dazu führen wird, dass das Wirtschaftswachstum rund ein Prozent geringer ausfallen wird als vorher angenommen. Besonders für das zweite Quartal 2022 müsse man mit einem leichten Negativwachstum rechnen. Dafür sei eine Kombination von Faktoren verantwortlich: Die Preise stiegen enorm, insbesondere die für Energie. Außerdem habe das Verbrauchervertrauen einen gehörigen Schlag bekommen, was zu einem gewissen Rückgang beim Konsum geführt habe.
Die Invasion Putins habe bei den Menschen zu einer Schreckreaktion geführt. Die Angst vor dem Krieg belaste die Familien mental. So etwas habe man auch zu Beginn der Corona-Krise gesehen, so Vanackere. Das Verbrauchervertrauen habe sich damals aber schnell wieder erholt. Nämlich, als die Menschen feststellten, dass die bekannten automatischen Wirtschaftsstabilisatoren in Belgien griffen und funktionierten, die Einkommen also sicher blieben. Wenn die Menschen das auch jetzt wieder feststellen würden, dann würden sie wahrscheinlich wieder beginnen, in einem gewissen Rahmen zu konsumieren.
Alles in allem rechne die Nationalbank deswegen damit, dass Belgien das laufende Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent abschließen sollte. Das liegt nur 0,2 Prozent tiefer als im Dezember angenommen. Für 2023 sehen die Prognosen allerdings magerer aus mit einem potenziellen Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent statt von 2,4 Prozent. 2024 soll es dann wieder etwas besser werden mit einem Wachstum von immerhin wieder 1,9 Prozent, was 0,3 Prozent über den Dezember-Prognosen liegen würde.
Inflation
Der Ukraine-Krieg wirkt sich aber nicht nur auf das Wirtschaftswachstum aus, sondern auch auf die Inflation. Die wird nämlich langsamer abnehmen, befürchtet die Nationalbank, insbesondere infolge der gestiegenen Energiepreise. Auf das gesamte laufende Jahr bezogen ist die Rede von einer Durchschnittsinflation von 7,4 Prozent. Und selbst gegen Ende 2022 soll die Inflation in Belgien demnach noch über fünf Prozent liegen.
Sorgen über eine sogenannte Stagflation müsse man sich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht machen, versicherte der Vizegouverneur der Nationalbank, also über einen Stillstand des Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger Geldentwertung. Die Nationalbank sieht aktuell auch keine Gefahr einer längerfristigen Lohn-Preis-Spirale, also eines gegenseitigen Aufschaukelungseffekts zwischen Lohn- und Preiserhöhungen durch die Inflation. Der Druck durch Inflation werde in den kommenden zwei Jahren abnehmen.
Was die Wettbewerbsfähigkeit angeht, so rechnet die Nationalbank derweil damit, dass auch die Arbeitnehmer in anderen Ländern Lohnerhöhungen fordern werden, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen. In Belgien gebe es ja die automatische Indexanpassung der Löhne, in anderen Ländern müsse über einen Inflationsausgleich verhandelt werden. Deshalb würden die Lohnkosten dort erst später steigen. Im internationalen Vergleich würden belgische Betriebe also zumindest kurzfristig schlechter dastehen.
Boris Schmidt