Wenn man die Bürger, aber auch die Wirtschaft und die politisch Verantwortlichen gerade fragt, was ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereitet, dann lautet die Antwort wohl meist: die Energiepreise. Gerade hierzulande gab es in den letzten Monaten und Wochen viele und hart geführte Diskussionen darüber, wie die hohen Energierechnungen der Bürger gesenkt werden können - aber auch darüber, wie denn der zukünftige Energiemix Belgiens aussehen soll, Stichwort: verschobener Atomausstieg.
In anderen europäischen Ländern wurden und werden zwangsläufig zumindest sehr ähnliche Diskussionen geführt. Aber: Alle Maßregeln, die auf nationaler Ebene beschlossen würden, bekämpften nur die Symptome, erklärte Premierminister Alexander De Croo am Mittwochmorgen bei Radio Eén. Das fundamentale Problem werde damit nicht angegangen.
Vor allem die Gaspreise hätten aktuell überhaupt nichts mit der Realität zu tun. Die Preise entwickelten sich, als ob es einen Mangel an Gas gebe. Das sei in Wirklichkeit aber überhaupt nicht der Fall. Er sei ein großer Verteidiger des freien Marktes, unterstrich der liberale Premierminister, denn das sei normalerweise das beste Instrument. Er müsse aber feststellen, dass dieses Instrument eben nicht mehr funktioniere, deswegen müsse eingegriffen werden.
Zwei Möglichkeiten
Dafür gebe es zwei Möglichkeiten: Zum einen könne die Versorgung der europäischen Länder etwa mit Gas als Gruppeneinkauf durchgeführt werden - also eine gemeinsame Verhandlung über Mengen und Preise mit einem anschließenden gemeinsamen Kauf. Ähnlich habe man es auch bei den Corona-Impfstoffen getan. Damit könne vermieden werden, dass jedes Land auf eigene Faust versuche, sich irgendwo Gas zu besorgen und man sich so Konkurrenz mache und die Preise hochtreibe. Dieses Phänomen sehe man bereits jetzt, so De Croo, weil alle fieberhaft versuchten, sich vorzubereiten, falls der Zugang zum russischen Gas abgeschnitten werde.
Da sei ein Gruppeneinkauf die bessere Methode. Denn einerseits könne man über die große Menge die Preise drücken - und dann sei da auch noch die Frage, wie das Gas überhaupt dahingelangen solle, wo es gebraucht werde. Belgien stehe unter anderem wegen seiner Flüssigerdgas-Terminals gut da. Bei anderen Ländern sehe das ungleich schwieriger aus, zum Beispiel bei Deutschland oder der Slowakei. Deshalb müsse man sich auf europäischer Ebene dahingehend koordinieren, dass die Gasvorräte so verwaltet würden, dass alle Mitgliedsstaaten zu jedem Zeitpunkt über ausreichende Mengen verfügen könnten.
Das zweite Element sei eine Deckelung der Preise, quasi ein Knüppel hinter der Tür, wie es der Premierminister formulierte. Diese Deckelung solle nur dann eingesetzt werden, wenn die Preise wirklich vollkommen außer Kontrolle seien. Dann könne man bestimmte Transaktionen schlicht und einfach blockieren, wenn sie eine gewisse, unrealistische Preisschwelle überschritten. Damit gebe man den Märkten und vor allem auch den Spekulanten ein deutliches Signal: Nämlich, dass sie gar nicht erst versuchen müssten, solche überteuerten Transaktionen durchzudrücken, denn sie würden ohnehin blockiert werden.
Widerstand
Auf einen spezifischen Wert wollte sich der Premierminister nicht festlegen. Außerdem gab es gegen solche Pläne auch bereits Widerstand, unter anderem von den Niederlanden und von Deutschland.
Er habe bei Gesprächen mit seinen Amtskollegen aber eines festgestellt, so der Premier: Man spüre, dass immer mehr Staats- und Regierungschefs einsähen, dass die heutige Situation nicht mehr haltbar sei. Die Bürger, die Firmen, die Staaten seien im Prinzip dabei, sich finanziell zu ruinieren, um Putin die Kassen zu füllen, ohne dass das eigentliche Problem gelöst werde.
EU-Kommission: Gasreserven und Preisdeckel gegen hohe Energiepreise
Boris Schmidt
»...weil alle fieberhaft versuchten, sich vorzubereiten, falls der Zugang zum russischen Gas abgeschnitten werde.«
Und das kann schneller geschehen, als es manch einem lieb ist.
Es wäre eine absolute Blamage, wenn sich die EU auf die neueste Vorgabe des Kremls einließe und die Gaslieferungen nicht mehr in Dollar sondern in zuvor bei der russischen Zentralbank erworbenen Rubel bezahlen würde.
Dadurch würden die Wirtschaftssanktionen des Westens unterlaufen, ja quasi ad absurdum geführt.
Ich hoffe dringend, dass Handel mit Russland in Rubel für in der EU ansässige Unternehmen untersagt wird.
Wie man sieht, bemüht sich die Politik nach Kräften, die Bürger zu entlasten.
Vom Prinzip her ist das richtig, aber wäre es nicht weitaus ehrlicher, die Menschen auf noch härtere Zeiten und eine mögliche Rezession einzustimmen, anstatt ihnen zu suggerieren, es würde alles besser werden, obwohl alle Anzeichen auf eine Verschlimmerung der Lage hinzudeuten?
Ich halte es bspw. nicht für unwahrscheinlich, dass im kommenden Winter Gaslieferungen rationiert werden.
Werter Herr Jusczyk.
Wesentlich ehrlicher wäre es, einzugestehen, dass die Sanktionen sinnlos sind, ein Schattenboxen auf Kosten der kleinen Leute in EU und Russland.
Können Sie mir bitte sagen, inwieweit die Sanktionen Putins Position geschwächt haben?Seinen Militärapparat kann man nicht damit stoppen.Das ist ein autarkes System. Funktioniert unabhängig vom Ausland. Die Russen produzieren alles selbst. Die ganzen Gerätschaften sind schon bezahlt.Nur die laufenden Kosten sind höher als gewöhnlich. Und die kriegen die Russen spielend bezahlt den Devisenreserven, die in Russland lagern.
»Können Sie mir bitte sagen, inwieweit die Sanktionen Putins Position geschwächt haben?«
Wenn ich zynisch wäre, würde ich die Gegenfrage stellen: Von welchen Sanktionen reden Sie angesichts der Tatsache, dass die EU-Länder jeden Tag (!) sage und schreibe 660 Millionen Euro für Gaslieferungen an Russland überweisen und damit den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine mitfinanzieren?
Es muss doch in unser aller Interesse sein, dass er schnellstmöglich beendet wird: Je länger er andauert, desto mehr Menschen sterben und desto größer sind die Schäden an der Infrastruktur.
Herr Jusczyk.
Die 660 Millionen sind irrelevant.Die Russen sind nicht abhängig davon wegen der großen Währungsreserven. Ob die die haben oder nicht, spielt keine Rolle.So kann man die Russen nicht wirklich treffen.Die EU schadet sich nur selbst.Die Sanktionen sind eine typische westliche Mischung aus Arroganz und Naivität bzw die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht.
Und durch die steigenden Preise sind soziale Unruhen durchaus möglich und könnten sich ua negativ auf die französischen Präsidentschaftswahlen auswirken.LePen ist eine Freundin von Putin und hat in 2016 einen Millionenkredit zwecks Wahlkampffinanzierung bekommen.
Die Achillessehne der Russen sind nicht die Gas oder Öllieferungen sondern seine zahlreichen Minderheiten, besonders im Kaukasus.Da gibt es permanent Probleme. Da ist doch bestimmt was zu machen...
Der Herr Minister De Croo steht hier stark im Rennen und präsentiert sich gut und repräsentiert Belgien wohl auf!
Ich finde, dass der Mann Format hat und auch etwas daraus macht.
Ich sag mal "Dankeschön".
Ich bin kein politische Genie, bei Weitem nicht aber er der Herr Minister De Croo ist zu erkennen und ich denk, dass die meisten Belgier auch hinter ihm stehen. Er macht und tut und das ist gut so.
"...Diese Deckelung solle nur dann eingesetzt werden, wenn die Preise wirklich vollkommen außer Kontrolle seien..." Das sagt doch alles und damit gibt der Herr Premier auch seine wahr Absichten preis : nähmlich nichts tun. Impliziert macht der Herr Premier uns vor er hätte die wahren Verursacher der Kriese (sowohl die Preistreiberei auf Basis von Spekulation und Wettgeschäften auf Energie, Nahrungsmittelproduktion, Umwelt, etc.) ausgemacht, scheut aber doch das Wort "Börsen und Banken" in den Mund zu nehmen, so wie der Teufel das Weihwasser.
Meiner Ansicht nach ist die Politik gar nicht so unglücklich über die aktuelle Inflation. So kommt man am leichtesten runter von der Staatsverschuldung. Die Inflation ist der eleganteste Weg zur Schuldenverminderung.
Bei der absolut notwendigen Abkehr von (u.a. russischem) Gas und Erdöl sollte man allerdings vorsichtig sein, zu denken, Atomkraftwerke seien die Wunderlösung...
So wird heute in Die Zeit Frau Inge Paulini, Präsidentin des deutschen Bundesamts für Strahlenschutz, folgendermaßen zitiert:
"Würde Russland Atomwaffen in der Ukraine einsetzen, wäre die Strahlenbelastung für Deutschland voraussichtlich geringer als nach einem großen Unfall in einem ukrainischen Atomkraftwerk."