Die Ukraine habe selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen. Gerade gegen einen so unprovozierten Angriff wie den des russischen Machthabers, stellte der Premier im Interview mit der RTBF unmissverständlich klar. Genauso wie sie das Recht habe, das Ausland um Hilfe zu bitten, um sich gegen Russland zu verteidigen. Belgien und andere Nato-Staaten lieferten der Ukraine auch Waffen, zu einer Kriegspartei werde man dadurch aber keinesfalls.
Der ukrainischen Forderung nach einer Flugverbotszone, um sich gegen die russischen Bombardierungen zu schützen, erteilte De Croo unter Verweis auf Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ebenfalls eine Absage. Die Nato sei ein Verteidigungsbündnis. Putin habe die Ukraine genau aus diesem Grund angegriffen, weil sie eben kein Mitglied sei. Polen und das Baltikum seien aber zum Glück Nato-Mitglieder, betonte De Croo hinsichtlich möglicher weiterer Aggressionspläne Russlands.
Es sei dennoch nicht so, dass die Nato in der Ukraine tatenlos zuschaue, deswegen liefere man ja unter anderem Waffen. Aber eine direkte militärische Konfrontation mit Russland müsse vermieden werden. Man müsse vorsichtig sein, damit es keine Dominoeffekte gebe und sich der Krieg nicht über die Grenzen der Ukraine hinaus ausbreite.
Souveränität statt Naivität
Am 10. und 11. März soll im französischen Versailles ein informelles Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs stattfinden. Er glaube, dass das ein entscheidender Augenblick für Europa werde, so De Croo. Die Union lege ihre Naivität ab und setze voll auf die Karte der Souveränität, der Eigenständigkeit. Das betreffe nicht nur die Aspekte Sicherheit und Verteidigung, sondern auch die Wirtschaft und vor allem auch die Energie.
Zur Frage, ob Europa die Einfuhr von Öl und Gas aus Russland beenden sollte, wollte sich der Premier aber nicht deutlich äußern. In den vergangenen Tagen wird die Kritik lauter, dass Europa noch immer jeden Tag mit Hunderten Millionen Euro für Energie aus Russland Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halte. Die jetzigen Sanktionen gingen schon sehr weit, so De Croo, ob darüber hinaus gehende Schritte ergriffen würden, müsse man erst noch sehen.
Die große Herausforderung sei, wie sich Europa darauf vorbereiten könne, in fünf bis zehn Jahren sämtliche Energieverbindungen mit Russland kappen zu können. Wenn Europa das schaffe, dann könne man von einem entscheidenden strategischen Wendepunkt sprechen.
Atomausstieg 2025?
Der entscheidende belgische Wendepunkt in puncto Energie sollte ja eigentlich der Atomausstieg 2025 sein. Auch wenn darüber schon lange heftige Debatten geführt worden waren, so hat der Überfall Putins doch auch hier wie eine Bombe eingeschlagen. Die Grünen, also die erbittertsten Verfechter des kompletten Atomausstiegs, haben nämlich mittlerweile signalisiert, dass sie nicht mehr an einem unmittelbaren Atomausstieg festhalten wollen.
Offiziell war die Entscheidung der Föderalregierung über den Atomausstieg ja für den 18. März angesetzt. Inwiefern sich dieser Termin vor dem Hintergrund des Krieges halten lässt, wird man wohl abwarten müssen. Vorgreifen wollte der Premier in diesem noch immer heiklen Dossier aus offensichtlichen Gründen nicht. Aber auch seine Äußerungen lassen sich so interpretieren, dass ein Atomausstieg zumindest 2025 eher unwahrscheinlich geworden ist.
Die Entscheidung müsse rational sein, alle Elemente müssten auf den Tisch. Man werde in den kommenden Wochen eine Entscheidung treffen, die die deutlich geänderte Situation berücksichtigen werde. Man habe bereits im Dezember deutlich gesagt, dass neben der Preisstabilität und der Versorgungssicherheit auch die Geopolitik ein wichtiger Faktor sei. Das Ziel sei nach wie vor eine emissionsfreie Energieversorgung, betonte er weiter.
Ebenfalls bereits im Dezember habe man auch festgehalten, dass man auch die sogenannte "Atomenergie der Zukunft" als Option untersuchen werde. Also neue Nukleartechnologie, die nicht die Nachteile und Probleme der jetzigen Technologie mit sich bringe.
Er sage nicht, dass damit der Atomausstieg vom Tisch sei. Er stelle lediglich fest, dass sich gerade in den letzten Tagen eine geistige Öffnung zeige, alle Arten verfügbarer Technologie zu untersuchen. Und dass die Einsicht gewachsen sei, dass man sich kurzfristig einer Situation gegenübersehe, die sich in den vergangenen Wochen beziehungsweise im Vergleich zu Dezember doch stark verändert habe, so der Premierminister.
Boris Schmidt