Der 18. März war der berühmte-berüchtigte Stichtag - vereinbart kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember, nach langem und heftigem Streit zwischen den Partnern der föderalen Vivaldi-Koalition. Ob dieses Datum tatsächlich noch haltbar ist, wird man abwarten müssen.
Fakt ist jedenfalls, dass die Föderalregierung unter Hochdruck an einem Gesamtpaket zur zukünftigen Energiepolitik Belgiens arbeitet. Dieser Druck kommt aber nicht etwa durch das immer näher rückende Datum 18. März - zumindest nicht nur, denn das Datum war ja auch nicht zufällig aus dem Hut gezaubert worden. Vielmehr ging es dabei um die Tatsache, dass gewisse Prozeduren in Gang gesetzt werden müssen, egal ob man nun alle Atomreaktoren des Landes stilllegen will oder die zwei jüngsten Meiler doch noch weiterlaufen lässt.
Der größte Druck auf die Politik kommt gerade von den enorm gestiegenen Energierechnungen der Bürger. Und da hat sich der Überfall Putins auf die Ukraine ja noch nicht einmal niedergeschlagen. Zartbesaitete sollten besser keinen Blick auf die aktuellen Großhandelspreise für etwa Gas werfen...
Um Preisstabilität oder vielleicht doch besser Schadenskontrolle geht es jetzt also vor allem für die Föderalregierung in puncto Energiekosten. Schon eine Weile zeichnete sich ab, dass die Grünen beim Thema Atomausstieg innerhalb der Mehrheit immer isolierter da standen. Jetzt scheinen sie zwar nicht das Handtuch zu werfen, aber doch zumindest deutlich Verhandlungsbereitschaft über den Zeitplan zu signalisieren. Und da hört man am Montag vor allem einen Ausdruck immer wieder: "Offen".
Offen müsse man sein - sich offen Fragen stellen über die energetische Zukunft - mit einem offenen Blick an die verfügbaren Optionen herangehen – Premierminister Alexander De Croo, der Ecolo-Co-Vorsitzende Jean-Marc Nollet und die föderale Groen-Energieministerin Tinne Van der Straeten scheinen zumindest sprachlich schon auf der gleichen Wellenlänge zu liegen.
Gestern sei die Wahl noch klar gewesen, erklärte Nollet gegenüber der RTBF. Da seien die Gaszentralen der beste Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie in Belgien gewesen. Aber angesichts der hohen Gaspreise und der geopolitischen Entwicklung mit Russland als Gaslieferant Europas müsse man sich die Frage offen neu stellen, wie man Belgiens Energieversorgung am besten komplett auf erneuerbare Quellen umstelle.
Auch für Energieministerin Van der Straeten liegen die Prioritäten auf der Hand: Man müsse an den Rechnungen arbeiten, sprich an den Preisen für Energie. Und natürlich auch an einer Beschleunigung des Energiewandels in Belgien, um schneller unabhängig von fossilen Brennstoffen zu werden, die ja zum Beispiel aus Russland kommen. Aber damit ist es eben nicht genug: Man müsse auch offen sein, was den nuklearen Kalender angehe, also den bisherigen Zeitplan für den Atomausstieg.
Das ist also, grob zusammengefasst, das neue Angebot der Grünen für das große Energiepaket: Sie sind bereit, über das Datum für den Atomausstieg zu verhandeln. Beziehungsweise kein Veto einzulegen gegen eine Verlängerung der zwei jüngsten Reaktoren. Im Gegenzug wollen die Grünen Maßnahmen, um die hohen Preise zu drücken, und einen ehrgeizigeren Zeitplan, was die Umstellung auf grünere Energiequellen angeht.
Über den Atomausstieg an sich wollen die Grünen allerdings nicht verhandeln. Sie sind aber zumindest offensichtlich bereit, eben ein paar Jahre länger zu warten. Zumindest könnte man die Worte Jean-Marc Nollets dahingehend interpretieren: Im gegebenen Rahmen müsse man eben schauen, was der beste Weg für die nächsten zehn Jahre sei…
Es bleibt also eigentlich nur noch ein Problem: Der französische Energiekonzern Engie ist der Betreiber der belgischen Atommeiler. Und Engie müsste erst einmal überzeugt werden, bei eventuellen Laufzeitverlängerungen mitzuspielen. Eine Überzeugungsarbeit, die laut den meisten Experten wohl ein ziemlich heftiges Preisschild haben dürfte.
Boris Schmidt