Seit 8:30 Uhr hatten zunächst die Nato-Botschafter getagt. Auch zwischen den europäischen beziehungsweise westlichen Staats- und Regierungschefs wird beraten. Seit 10:30 Uhr läuft eine von Premierminister Alexander De Croo einberufene Dringlichkeitssitzung des föderalen Kernkabinetts. Daran nehmen auch der belgische Nato-Botschafter, der Armeechef sowie der Chef des militärischen Nachrichtendienstes teil.
Noch Mittwochabend hatte der Premier nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates vor dem, "düstersten Szenario", gewarnt, nach dem Russland einen großen Angriff Richtung Kiew machen könne. Dieses Szenario, vor dem westliche Politiker und Experten schon seit Tagen, wenn nicht Wochen warnen, könnte jetzt Wirklichkeit werden.
Belgien verurteile den russischen Angriff auf die Ukraine scharf. Das sei die dunkelste Stunde Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, schrieb De Croo auf Twitter. Belgien stehe in engem Kontakt mit seinen Verbündeten in der Nato und in der EU. Die russische Aggression sei unnötig und unprovoziert. Die Herzen und Gedanken Belgiens seien mit dem Volk der Ukraine.
Am Nachmittag soll sich der Premier voraussichtlich in der Kammer den Fragen der Abgeordneten stellen, bevor er ab 20 Uhr an einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs teilnehmen wird.
Auch Außenministerin Wilmès und Verteidigungsministerin Dedonder schlossen sich auf Twitter beziehungsweise bei der RTBF der scharfen Verurteilung des russischen Angriffs an. Die Invasion durch Russland sei rücksichtslos und unprovoziert, betonte auch Wilmès. Sie unterstütze die bisherigen und auch weiteren Sanktionen gegen Russland.
Noch 200 belgische Staatsbürger in Ukraine
Aktuell sollen sich auch noch deutlich über 200 belgische Staatsbürger in der Ukraine aufhalten - mehrheitlich in der Hauptstadt Kiew. Diese Bürger sollten für den Augenblick dort bleiben, weil die Lage in Kiew noch am sichersten sei, so Wilmès. Belgier, die sich weiter westlich aufhielten, sollten hingegen versuchen, das Land per Auto zu verlassen. Eine Evakuierung per Flugzeug ist hingegen nicht mehr möglich, der Luftraum ist wegen der russischen Angriffe geschlossen worden.
Das Außenministerium hat beschlossen, ein Callcenter einzurichten. Wer belgische Angehörige in der Ukraine hat, kann die Nummer 02/501.40.00 anrufen.
Die Außenministerin wollte noch nicht das Wort "Krieg" in den Mund nehmen, aber die Situation entwickle sich in diese Richtung. Und das sei allein die Schuld Russlands. Auch wenn man den Worten Putins aktuell wenig trauen könne, so müsse man dennoch diplomatische Kanäle offen halten, so Wilmès weiter.
Einen Einsatz belgischer Truppen in der Ukraine haben sowohl die Außenministerin als auch Verteidigungsministerin Dedonder für den Augenblick ausgeschlossen. Belgien sei im Rahmen der Nato aktiv und wolle das auch weiter bleiben.
Energieversorgung
Im Zusammenhang mit den Aggressionen Russlands ist auch die Frage der Energieversorgung wichtig. Die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten will eine eilige Zusammenkunft aller EU-Energieminister. Es herrsche ein Preiskrieg auf dem europäischen Markt, dagegen müsse es auch eine europäische Offensive geben, so Van der Straeten. Dieses Treffen könnte möglicherweise bereits Freitag stattfinden.
Auch Asylstaatssekretär Sammy Mahdi hat sich zu Wort gemeldet. Er fordert breite Visumssanktionen gegen Russland. Am Mittwoch hatten die EU-Staaten bereits beschlossen, neben wirtschaftlichen Sanktionen auch die Einreiseverbote gegen Personen auszuweiten, die an der Bedrohung der Ukraine und ihrer Unabhängigkeit beteiligt sind.
Mahdi für Visumsstopp
Mahdi will aber deutlich weiter gehen: Er will eine vollständige Blockade aller Visumsanfragen von russischen Staatsangehörigen, so lange Russland die Ukraine und das ukrainische Volk bedrohe. Mahdi will, dass die Europäische Kommission einen entsprechenden Maßnahmenvorschlag ausarbeitet, damit die EU geschlossen auftreten könne. Der ruchlose Angriff Russlands zwinge zur Vorsicht hinsichtlich der Russen, die nach Belgien kommen wollten.
Bis auf Weiteres seien Russen hier nicht willkommen, ein allgemeiner Visumsstopp dürfe kein Tabu sein. Allerdings sieht der Asylstaatssekretär Ausnahmen vor für Russen, die wegen ihrer Aktivitäten in ihrer Heimat in Gefahr seien und deshalb um humanitäre Visa ersuchten.
Derweil fordert der flämische Medienminister Benjamin Dalle die Bevölkerung und die Nachrichtenredaktionen zu einem besonders kritischen und vorsichtigen Umgang mit Informationen und Bildern über den russischen Angriff auf. Desinformation gehöre zur modernen Kriegsführung. Und man wisse, dass die Russen darin eine gewisse Tradition hätten, so Dalle.
Boris Schmidt