Die schlechte Nachricht zuerst: Die Zahl der Opfer bei Verkehrsunfällen in Belgien ist innerhalb von einem Jahr um 5.289 gestiegen. 42.063 führt die Statistik des Instituts für Verkehrssicherheit Vias für das vergangene Kalenderjahr auf. Alle drei Regionen des Landes verzeichnen prozentual zweistellige Zuwächse bei den Opferzahlen: Plus zehn Prozent in Brüssel, plus 13 Prozent in Flandern, plus 18 Prozent in der Wallonie.
Jetzt die gute Nachricht - oder sollte man vielleicht besser sagen, die weniger schlechte? Denn wirklich gut ist auch diese Nachricht nicht: Die Zahl der Menschen, die bei den Verkehrsunfällen ums Leben gekommen sind, bleibt fast unverändert: 2021 gab es nur einen Verkehrstoten mehr als 2020. 484 Menschen insgesamt verloren im vergangenen Jahr ihr Leben auf den Straßen des Landes.
Mehr Verkehr wegen Corona-Lockerungen
Für Vias-Sprecher Stef Willems sind die neuen Zahlen wenig verwunderlich. Dass es insgesamt wieder mehr Unfallopfer gibt, hänge damit zusammen, dass es aufgrund der Corona-Lockerungen auch wieder mehr Verkehr gegeben habe. 2020 dagegen habe sich das Land längere Zeit im Lockdown befunden - fast ohne Verkehr.
Und dass andersherum die Zahlen auch nicht positiver sind - es also zum Beispiel keinen Rückgang der Unfall- oder Todesopfer zu feiern gibt -, sei ebenfalls keine Überraschung. „Wenn die Zahlen die vergangenen vier, fünf Jahre auf dem gleichen Niveau geblieben sind, dann werden sie sicher nicht plötzlich fallen, wenn zuvor keine entsprechenden Maßnahmen getroffen worden sind“, sagte Willems Montagmittag bei der VRT. Solche Maßnahmen, um die Zahl der Verkehrsopfer zu verringern, seien eben nicht getroffen worden. Zumindest nicht landesweit.
Positive Entwicklung in Brüssel, negative Entwicklung in Flandern
Aus Brüssel nämlich, wo eine verkehrspolitisch einschneidende Maßnahme tatsächlich im vergangenen Jahr getroffen worden war, kam schnell ein Kommentar zu den für die Hauptstadtregion so positiven Zahlen bezogen auf die Unfalltoten. Diese Zahl fiel nämlich von 14 im Jahr 2020 auf nur sechs im vergangenen Jahr. „Das ist ein klarer Effekt unserer Entscheidung, die Maximalgeschwindigkeit in der ganzen Stadt auf 30 Stundenkilometer zu beschränken“, sagte Brüssels Grüne Verkehrsministerin Elke Van den Brandt.
In genau die andere Richtung bewegen sich die Zahlen der Verkehrstoten in Flandern. Plus 45 stehen da für 2021 zu Buche. Vias glaubt, dass das an der Zunahme der Verkehrsdichte in Flandern liegen könnte. Und eben am Ausbleiben grundlegender Maßnahmen, um Unfällen entgegenzuwirken.
Mehr Unfälle mit Lieferwagen
Aus dem umfassenden Zahlenmaterial, das Vias in Zusammenarbeit mit der Föderalpolizei Montag vorgelegt hat, stechen noch zwei weitere Zahlen hervor: Die Zahl der tödlichen Unfälle, bei denen ein Lieferwagen beteiligt ist, stieg von 43 auf 63. Für Vias-Sprecher Stef Willems liegt auch das an einem Effekt der Corona-Maßnahmen. Er sagt: „In den vergangenen zwei Jahren haben wir eine rasante Zunahme des Online-Handels erlebt. Die Menschen haben von zu Hause aus sehr viele Produkte bestellt. Die wurden dann an die Haustür geliefert. Und das hat mit Sicherheit auch zu mehr Unfällen mit Lieferwagen geführt.“
Und dann tauchen erstmals überhaupt auch Elektro-Roller in einer Unfallstatistik auf. Drei Unfälle pro Tag, insgesamt 1022. Doch das sei nur die Spitze des Eisberges, sagt Stef Willems. „Denn“, so führt er aus, „viele Unfälle mit Rollern passieren ohne Fremdeinwirkung. Und wenn jemand stürzt und dann mit einem schmerzenden Knie zum Arzt geht, wird das nicht in der Unfallstatistik registriert.“
Alles in allem sind das also keine guten Zahlen, die Vias Montag den Belgiern quasi als Spiegel ihres Verhaltens auf der Straße vorhält. Welche Maßnahmen Besserungen bringen könnten, dazu hat Vias durchaus Ideen. Sprecher Willems zählt auf: „Maßnahmen wären unter anderem Sensibilisierungskampagnen, Anpassen der Infrastruktur, eine Gesetzgebung, die dafür sorgt, dass die Chance steigt, bei Verstößen erwischt zu werden, die für höhere Strafen sorgt. Ein ganzes Paket an Maßnahmen ist nötig, um die Zahl der Verkehrsopfer strukturell zu verringern.“
Kay Wagner