Eine Arbeitsmarktreform lag durchaus in der Luft. Im Oktober hatte Premierminister Alexander De Croo (Open VLD) diese Reform angekündigt - im Zuge seiner Regierungserklärung damals. Grundsätzlich soll diese Reform zwei Ziele verfolgen.
Zum einen soll sie die Arbeitsbedingungen an die modernen Zeiten anpassen. Stichworte hier mehr Flexibilität, bessere Work-Life-Balance, der zunehmende Onlinehandel, die Arbeit über Internet-Plattformen und Weiteres.
Zum anderen soll das Ziel erreicht werden, in acht Jahren, im Jahr 2030, 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung tatsächlich arbeiten zu sehen - also die Beschäftigungsquote in Belgien zu heben. Die liegt aktuell bei gut 71 Prozent.
Vier Pfeiler
In den vergangenen Wochen hatten die Minister sich schon öfter mal getroffen, um über die konkreten Reformen zu verhandeln. Jetzt ist das Kind geboren, die Ergebnisse liegen auf dem Tisch. Neben vielen Details sind es vor allem vier Punkte, vier Pfeiler, wie De Croo es nannte.
Erster Pfeiler: Die vier Tage-Woche wird möglich - und das durch die flexiblere Aufteilung der Arbeitsstunden. Hier soll der Arbeitnehmer die Möglichkeit bekommen, bei einer 40-Stunden-Woche alle 40 Stunden schon an vier Tagen abzuarbeiten - um dann den fünften Tag freizubekommen. Ein ähnliches System soll für mehrere Wochen gelten: Da soll der Arbeitnehmer künftig entscheiden können, in der einen Woche zum Beispiel 50 Stunden zu arbeiten und in der nächsten Woche nur 30 Stunden.
Zweiter Pfeiler - in der Reihenfolge von De Croo: Das Recht auf Weiterbildung soll gestärkt werden. Bis 2024 soll jeder Arbeitnehmer das Recht auf fünf Tage Weiterbildung pro Jahr erhalten.
Dritter Pfeiler: Wenn jemand den Job wechseln möchte oder entlassen wird, soll er schneller als bisher ein neues Arbeitsverhältnis beginnen können. Zu diesem Pfeiler wurde auf der Pressekonferenz nicht sehr viel mehr gesagt.
Ganz im Gegenteil zu dem Bereich Onlinehandel und Arbeiten für Internet-Plattformen als vierten Pfeiler der Reform. Abgeschafft ist der Onlinehandel nicht, das war auch nicht wirklich erwartet worden. Er soll vereinfacht werden beziehungsweise Belgien soll attraktiver für Unternehmen werden, die den Onlinehandel betreiben - durch die Erlaubnis von Abend- oder Nachtarbeit. Zwischen 20 und 24 Uhr dürfen Unternehmen mit Onlinehandels-Aktivitäten ihre Belegschaft künftig arbeiten lassen. Interessant hierbei ist, dass die Unternehmensleitung das auch ohne die Zustimmung der Gewerkschaften für 18 Monate ausprobieren kann. Wenn die Gewerkschaft danach immer noch dagegen ist, muss diese Nacht- oder Abendarbeit wieder rückgängig gemacht werden.
Bei Plattformen spricht man über Internet-Unternehmen, die ihre Dienstleistungen von freien Mitarbeitern - oder wie man sie nennen möchte - ausführen lassen. Das sind Unternehmen wie Uber, Deliveroo oder Eat, die zum Beispiel Essen nach Hause liefern oder Taxi-Dienstleistungen erbringen. Die Betreiber dieser Plattformen werden jetzt dazu verpflichtet, eine Kranken- und eine Unfallversicherung für die Mitarbeiter abzuschließen. Die Plattformen werden quasi ins Arbeitsrecht gezwungen - und das eben, um die Mitarbeiter besser zu schützen.
Jubeln werden die Plattformen darüber nicht. Aber in diese Richtung geht auch die europäische Gesetzgebung. Die EU-Kommission hat im Dezember ähnliche Vorschläge vorgestellt. Belgien prescht jetzt vor. Abwarten, wie die Plattformen darauf reagieren.
Erste Reaktionen
Bei der VRT wurde nach der Pressekonferenz ein Wirtschaftswissenschaftler von der Uni Gent befragt,. Er zeigte sich eher enttäuscht. Das sei kein großer Wurf, die Reformen gingen nicht weit genug. 80 Prozent Beschäftigungsquote sei damit sicher nicht zu erreichen. De Croo hatte das natürlich ein bisschen anders dargestellt.
Diese Frage wird uns die kommenden Tage weiter beschäftigen, wenn mehr Details der Beschlüsse bekannt sein werden.
Kay Wagner