Die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen immer mehr. Das galt schon vor der Pandemie. Seitdem das Homeoffice Alltag geworden ist, fällt es aber noch schwerer, die Freizeit von der Arbeit zu trennen. Wenn Smartphone und Laptop auf dem Wohnzimmertisch liegen, kann man leicht vergessen, mal ganz abzuschalten und zu entspannen.
Dabei ist die Idee von Petra De Suter nicht neu. Länder wie Frankreich, Spanien oder Portugal zwingen mit strikteren Gesetzen auch die Privatwirtschaft dazu, Mitarbeiter von der Arbeit zu entkoppeln und ihnen Zeit zur Erholung zu geben. Im Vergleich dazu sind die Auflagen in Belgien eher allgemein gehalten. Aber auch hier ist das Ziel, Mitarbeitern Pausen zu gönnen, damit sie sich nicht überlasten und gesund bleiben, sagt Catherine Choque, Psychologin bei der Arbeitsmedizin.
Das sogenannte Peeters-Gesetz des ehemaligen Arbeitsministers Kris Peeters fordert, dass Unternehmen und Beschäftigte sich regelmäßig darüber austauschen, wie sie nach Dienstschluss, aber auch während der Arbeitszeit, Zeit für Erholung organisieren.
Die Privatwirtschaft hat auch aus eigenem Antrieb bereits Modelle eingeführt, um Arbeitnehmer vor dem Dauerarbeiten zu bewahren. Bei einer belgischen Supermarktkette dürfen beispielsweise Versammlungen nur noch zu den üblichen Arbeitszeiten abgehalten werden. Außerdem hat die Kette ihre Mailserver so programmiert, dass Mitarbeiter außerhalb der Dienstzeit zwar noch E-Mails verschicken können, neue E-Mails empfangen können sie aber erst zu Dienstbeginn. Eine drastische Methode, die nicht unbedingt eine gute Lösung ist. Denn so verliert der Arbeitnehmer ein Stück seiner Eigenständigkeit - und auch das kann Stress verursachen.
Denn auch der Arbeitnehmer profitiert von der Flexibilität in der Arbeitszeit. Für manch einen ist es ein Segen, dass er tagsüber etwas Privates erledigen kann und im Ausgleich morgens früher anfängt oder abends etwas länger arbeitet, sagt auch Arbeitssoziologe Christophe Vanroelen von der Freien Universität Brüssel. Zwei Drittel der Arbeitnehmer im Homeoffice machen von solchen flexiblen Arbeitszeiten Gebrauch. Das geht aus Daten der Firma Protime, Marktführer für die Erfassung von Arbeitszeit, hervor.
Symbolpolitik und Eigenverantwortung
Betriebspsychologen sehen in der De-Sutter-Regel eher eine Symbolpolitik. Denn wenn sich jemand im Job nicht wohl fühle, liege das Problem eher am Arbeitsumfeld und weniger an den Arbeitszeiten. Frank Vander Sijpe, Direktor Human Resources bei Securex, bringt es so auf den Punkt: Es gebe Menschen, die aus falschem Schuldbewusstsein ihr Telefon mit auf die Toilette nähmen, weil sie Angst hätten, nicht erreichbar zu sein. Ihnen helfe man nicht, wenn man ihnen sage, dass sie nach 17 Uhr nicht mehr angerufen werden können.
Für Vander Sijpe liegt die Verantwortung auf beiden Seiten. Es gebe keinen Grund, Mitarbeiter wie kleine Kinder zu bevormunden. Auch Catherine Choque appelliert an die Eigenverantwortung: "Unser eigenes Digital-Verhalten muss uns bewusst werden. Wir müssen erkennen, wo die Vor- und Nachteile liegen und unser Verhalten anpassen. Zu oft lassen wir zu, dass die digitale Welt uns vor sich hertreibt. Stattdessen müssen wir wieder die Kontrolle übernehmen."
Einen Applaus für die neue Regel für Beamte gibt es von den Gewerkschaften. Die wollen sogar noch mehr Regeln. Denn es gibt Ausnahmen, in denen auch föderale Beamte in ihrer Freizeit gestört werden dürfen - wenn es wirklich nicht anders geht. Diese Ausnahmen will beispielsweise die Christliche Gewerkschaft genau definieren.
Auch die Föderalregierung geht schon einen Schritt weiter: Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne hat die Sozialpartner um Rat gebeten, um das Recht auf Abschalten auch im Privatsektor strukturell zu gestalten.
Olivier Krickel