Stürmische Zeiten insbesondere für Premierminister Alexander De Croo. Erst der Konzertierungsausschuss: Im Anschluss hagelte es Kritik an den beschlossenen Maßnahmen. Direkt im Anschluss stand aber schon eine Sitzung des Kernkabinetts an. Und auf der Tagesordnung stand ein mindestens genauso explosives Thema, nämlich der Atomausstieg. Was hatte es da im Vorfeld für ein Getrommel gegeben! Mal abgesehen von der Opposition war es vor allem der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez, der die Koalition am Ende fast vor eine Zerreißprobe stellte.
Als es dann am Ende hieß, dass das Kernkabinett dann doch ein Abkommen erzielt hatte, da war der eine oder andere fast schon überrascht; und gespannt. Nach dem Motto: Wie hat Vivaldi diese Kuh wohl vom Eis gekriegt?
Als Premier De Croo und Tinne Van der Straeten am späten Vormittag dann vor die Presse traten, da wurde schnell deutlich, dass da wohl doch noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Im Grunde wusste man das schon, nachdem der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez gleich auf Twitter der Energieministerin widersprochen und dabei klargemacht hatte, dass eine Entscheidung eben noch nicht gefallen sei.
Das Hauptproblem ist und bleibt, dass sich die Ausgangslage verändert hat. Eigentlich war man davon ausgegangen, dass das Gaskraftwerk von Vilvoorde gebaut werden kann. Diese Anlage ist - zusammen mit einem weiteren Gaskraftwerk, das in der Wallonie entstehen soll - unbedingt notwendig, um die Versorgungssicherheit auch sicherstellen zu können, wenn etwa Dunkelflaute herrscht, also wenn kein Wind weht und auch die Sonne nicht scheint. Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir hatte dem Gaskraftwerk von Vilvoorde im Oktober aber die Genehmigung verweigert.
Diese Situation gilt es jetzt zu managen: Am 15. März werde Bilanz gezogen, sagte Energieministerin Tinne Van der Straeten in der RTBF. "Bis dahin wollen wir wissen, ob das Gaskraftwerk von Vilvoorde nicht doch noch eine Genehmigung erhalten hat. Ist dem nicht so, dann wird sie durch ein anderes Kraftwerk ersetzt."
Alternativen
Mögliche Alternativen gibt es. Das sind die Projekte, die im Auswahlverfahren hinter dem Gaskraftwerk von Vilvoorde platziert waren. Konkret geht es vor allem um zwei Kraftwerke in der Wallonie. Und dann werde noch ein letztes Mal überprüft, ob im Falle eines Atomausstiegs die Versorgungssicherheit auch wirklich gesichert ist. Denn, wir sind eben vorsichtig, sagte Premier De Croo.
Sollte sich herausstellen, dass die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet werden kann, dann würde dann doch noch der berühmte Plan B greifen: Dann würde man die Laufzeit der beiden jüngsten Reaktoren doch noch mal verlängern.
De Croo versprach zudem, dass in wissenschaftliche Forschung investiert werden soll, die sich mit Kernenergie der Zukunft beschäftigt. Konkret geht es hier um die sogenannten kleinen modularen Reaktoren; man wolle also die Tür zur Atomkraft nicht grundsätzlich und ein für allemal schließen. Das darf man wohl als ein Zugeständnis an die MR verstehen.
Kritik
Das ist, in groben Zügen, das Abkommen von letzter Nacht. "Ein Abkommen soll das sein?", polterte aber der N-VA-Abgeordnete Bert Wollants am Nachmittag in der Kammer. Allenfalls könne man von einem Pseudo-Abkommen sprechen. Startpunkt war die Frage, ob man zwei Reaktoren nicht doch am Netz lassen sollte. Und diese Frage steht immer noch genauso im Raum.
Die N-VA hatte ja im Vorfeld am schärfsten gegen die Pläne der Regierung geschossen. Andere Oppositionsfraktionen äußerten aber ähnliche Kritik: "Die Entscheidung wurde uns schon mehrmals versprochen", beklagte der CDH-Abgeordnete Georges Dallemagne. "Und jetzt wurde sie doch wieder auf März verschoben." Bei der Debatte ging es teilweise richtig hoch her. Immer wieder gab es Zwischenrufe.
Plan A sei aber nach wie vor das bevorzugte Szenario, machte aber Energieministerin Van der Straeten in der Kammer klar. Die Wahrscheinlichkeit, dass man am Ende doch auf Plan B zurückgreifen, also doch noch die Kernreaktoren am Netz lassen muss, die gehe gegen Null, sagte die Groen-Politikerin. Aber selbst dieses kleine Restrisiko nehme man noch ernst.
Das alles eben, um wirklich sicherzustellen, dass das Licht nicht ausgehen wird. Auch Premierminister Alexander De Croo betonte noch einmal, dass der Hochspannungsnetzbetreiber Elia zu dem Schluss gekommen sei, dass die Versorgungssicherheit ohne Atomstrom gewährleistet werden könne.
Nur, in einem Punkt hat die Opposition wohl recht: Die Frage nach dem Atomausstieg ist nach wie vor nicht definitiv beantwortet. Bis zum 15. März, also der Frist, die man sich gesetzt hat, bis dahin dürften die Debatte und - damit verbunden - der koalitionsinterne Streit aber munter weitergehen.
Roger Pint