Selten hat wohl die Vivaldi-Regierung in der Kammer so viel Kritik einstecken müssen. "Angesichts der angekündigten Schließung des Kultursektors herrscht allgemeine Bestürzung", beklagte Catherine Fonck von der oppositionellen CDH. Die Kulturschaffenden sind wütend und enttäuscht. Und diese Wut, diese Enttäuschung komme nicht von ungefähr, waren sich die Oppositionsfraktionen einig. Denn: Das wissenschaftliche Beratergremium GEMS habe die Schließung des Kultursektors gar nicht empfohlen, kritisierte unter anderem die Défi-Abgeordnete Sophie Rohonyi. "Sie haben den Fachleuten ihr Gutachten regelrecht um die Ohren gehauen."
Mit gewohnter Theatralik schlug Raoul Hedebouw von der marxistischen PTB dann den Nagel ein: "Liebe Damen und Herren Vivaldi-Minister: Sie haben die Kultur getötet". Gut, dass die Opposition die Regierung kritisiert, ist ja noch normal - das ist schließlich die Rolle der Opposition. Doch hörte man verdächtig ähnliche Töne auch aus den Reihen der Mehrheit. "Was ist da gestern passiert?", fragte sich etwa die Ecolo-Abgeordnete Marie-Colline Leroy. Ähnliche Töne auch von der MR-Abgeordneten Florence Reuter: "Keiner versteht diese Entscheidung", sagte Reuter. "Wir nicht, und auch nicht die Bürger." Und MR und Ecolo waren nicht die einzigen Mehrheitsfraktionen, aus denen deutliche Misstöne zu hören waren.
Premierminister Alexander De Croo gab sich dennoch betont souverän. "Wissen Sie, ich werde Sie überraschen", sagte Alexander De Croo. "Wir haben uns eigentlich doch strikt an das gehalten, was uns die Experten empfohlen haben."
Mit dieser dann doch unerwarteten Aussage hatte De Croo dann doch schonmal die Zuhörer für sich gewonnen. Seine Argumentation: Auf der einen Seite ist es zwar tatsächlich so, dass das Beratergremium GEMS erstmal nicht empfiehlt, Veranstaltungen in Innenräumen zu verbieten. Im nächsten Satz steht allerdings, dass das sofort passieren müsse, wenn die Zahlen steigen.
Auf der anderen Seite sagen die Experten aber voraus, dass genau das passieren wird, also dass die Fallzahlen steigen werden. "Das wird laut den Fachleuten ab Weihnachten passieren; und ab wann greifen unsere Maßnahmen? Ab dem zweiten Weihnachtstag."
Anders gesagt: "Wir antizipieren", sagt De Croo. "Wir nehmen eine Entscheidung vorweg, weil man leider davon ausgehen muss, dass sich die Situation mitunter schlagartig verschlechtert. Natürlich ist uns das schwer gefallen", sagte De Croo, "natürlich machen wir das nicht gerne". Aber angesichts von Omikron müsse man sich leider auf das Schlimmste einstellen.
Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke schlug in exakt dieselbe Kerbe. "Wir sollen auf die Experten hören?", sagte Vandenbroucke. "Dann sage ich Ihnen, was noch in dem Bericht steht. Für den Fall, dass die Fallzahlen steigen, empfehlen die Experten einen harten Lockdown: alles dicht."
Und er hoffe, dass alle dann ebenso konsequent sind, wie sie es jetzt vorzugeben scheinen, sagt Vandenbroucke. "An dem Tag, an dem die Zahlen schlechter werden und wir alles schließen müssen, dann sind wir hoffentlich auch alle damit einverstanden."
Premierminister De Croo erinnerte seinerseits noch einmal daran, dass mit Ausnahme von drei Parteien alle anderen im Konzertierungsausschuss vertreten sind. Er appelliere an alle: "Wenn Sie eine Entscheidung treffen, bitte stehen Sie auch dazu, so schwierig sie auch sein mag".
Roger Pint