"Solche Zahlen haben wir noch nie gesehen". Guido Vanham, emeritierter Professor für Immuno-Virologie am Tropeninstitut und an der Universität von Antwerpen, hat am Montagmorgen in der VRT die Alarmglocke gezogen. "Wir kannten ja schon exponentielle Kurven, aber was wir in Großbritannien und Dänemark sehen, das stellt alles in der Corona-Krise bisher Bekannte in den Schatten", warnt der Experte. Da werden im Moment Rekorde gebrochen.
"Wir sehen eine galoppierende Virusverbreitung", bestätigt in der RTBF Professor Benoit Muylkens von der Uni Namür. Das Infektionsgeschehen verdoppele sich alle zwei Tage. "Und wir wissen inzwischen, dass eine Genesung oder eine lediglich zweifache Impfung einen unzureichenden Schutz bieten", sagt der Virologe. Der Schutz liegt zwischen 0 und 20 Prozent.
Heißt: Man muss davon ausgehen, dass enorm viele Menschen krank werden; auch Geimpfte und Genesene. Was den absehbaren Krankheitsverlauf nach einer Omikron-Infektion angeht: Nach derzeitigem Kenntnisstand kann man nicht davon ausgehen, dass der Verlauf milder sein wird, also dass das Virus weniger Leute ins Krankenhaus befördern wird. Wir wissen es noch nicht genau. Da werden wir wohl noch zwei Wochen warten müssen, bis weitere Daten vorliegen.
Es gibt im Moment nur einen wirksamen Schutz gegen Omikron, sagt Benoit Muylkens: die Booster-Impfung. Dadurch wird der Immun-Schutz gegen eine symptomatische Erkrankung auf 55 bis 80 Prozent gesteigert. Deswegen der Aufruf: "Holen Sie sich schnellstens ihre dritte Impfung"...
Doch auch das wird nicht reichen, um unser Gesundheitssystem aus der Schusslinie zu halten, warnt der Antwerpener Kollege Guido Vanham. Der Booster ist nützlich und verhindert Krankenhauseinweisungen. Aber leider nicht in ausreichendem Maße. Hinzu kommt, und das ist das Schlimme: Die Booster-Impfung verhindert beinahe nicht mehr die Ansteckung. Also: Ein extrem ansteckendes Virus, gegen das man sich aktuell nur bedingt schützen kann.
Die niederländische Regierung hat da äußerst konsequent reagiert: ein harter Lockdown. "Das sei unvermeidlich", sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Das Virus verbreite sich rasend schnell. "Und wir müssen jetzt eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern."
Damit hatte niemand gerechnet. Die Entscheidung kam quasi über Nacht und wurde umgehend in Kraft gesetzt. Und auch in Belgien, und insbesondere in Flandern schlug die Meldung wie eine Bombe ein. Flandern schaut ja gerne und oft ins nördliche Nachbarland. Die Situation sei aber nur bedingt vergleichbar, hieß es zunächst. In den Niederlanden stehen pro Kopf wesentlich weniger Intensivbetten zur Verfügung als in Belgien, sagte der Virologe Marc Van Ranst in der VRT. Außerdem sei die Variante dort schon weiter verbreitet. Und die Niederlanden hinken zudem in Sachen Booster-Impfung hinterher.
Bis hierhin sind sich alle einig. Doch die Frage aller Fragen lautet: Sind die Deiche in Belgien denn auch hoch genug, um diese Omikron-Welle wirklich, wenn nicht aufzuhalten, dann doch zumindest abzubremsen?
Die Professoren Guido Vanham und Benoit Muylkens empfehlen jedenfalls beide konsequente Kontaktbeschränkungen. "Wir brauchen schnellstens einen Lockdown wie in den Niederlanden", sagt sogar Guido Vanham. "Alles dicht! Jetzt!", sagt der Experte. Wobei er einräumt, dass das den Bürgern freilich nur schwer zuzumuten ist.
Der Konzertierungsausschuss wird am Mittwoch über die Lage beraten. Stand heute wird nicht davon ausgegangen, dass die Vertreter aller Regierungen des Landes die Schrauben spürbar anziehen werden. Auch Maßnahmen wie eine Verkleinerung der Kontaktblase stünden aktuell nicht zur Debatte. 48 Stunden sind in der Politik aber manchmal eine lange Zeit.
Roger Pint