Am 4. Mai 2019, einem Samstag, bricht die 23-jährige Julie Van Espen abends vom Haus ihrer Eltern in Schilde mit dem Fahrrad auf. Sie will sich um 18:30 Uhr mit Freundinnen im nahegelegenen Antwerpen treffen. Als sie dort nicht wie erwartet eintrifft, steht sehr schnell der Verdacht im Raum, dass etwas passiert sein muss.
Polizei, Familie und Freunde beginnen unmittelbar mit Suchaktionen rund um den Albertkanal bei Merksem am Rand von Antwerpen. Dort war Julies Mobiltelefon zuletzt geortet worden. Noch in der gleichen Nacht wird auch die Zelle Vermisste Personen eingeschaltet.
Die Suche wird auch am Sonntag fortgesetzt, mittlerweile ist eine spezialisierte Einheit der föderalen Gerichtspolizei hinzugezogen worden. Dann wird blutige Kleidung in der Nähe gefunden, außerdem ein Fahrradkorb und andere Gegenstände in einem Mülleimer. Auf Bildern einer Überwachungskamera sehen die Fahnder einen Mann mit einem großen Rucksack und einem Fahrradkorb in der Hand.
Einen Tag später startet die Polizei einen öffentlichen Fahndungsaufruf nach eben diesem Mann von den Bildern der Überwachungskamera. Es scheint sich um den heute 41-jährigen Steve Bakelmans zu handeln. Die Polizei nimmt ihn am Bahnhof von Löwen fest, in der Folge wird mitgeteilt, dass er des Mordes an Julie Van Espen verdächtigt wird.
Noch am gleichen Tag wird Julies Leiche mithilfe von Booten und eines Sonars im Albertkanal in der Nähe des Antwerpener Sportpaleis gefunden und von Tauchern geborgen. Ungefähr zur gleichen Zeit gesteht Bakelmans den Mord an der Studentin. Sie habe sich heftig gewehrt, als er sie vergewaltigte, gibt er an.
Das grausame Verbrechen an sich sorgt schon für sehr viel Entsetzen. Je mehr Details über den mutmaßlichen Täter ans Licht kommen, desto größer wird aber auch die Wut auf die Behörden beziehungsweise auf die Justiz. Denn Steve Bakelmans ist bei Gericht alles andere als ein Unbekannter: Rund ein Dutzend Mal ist er bereits verurteilt worden, unter anderem wegen Diebstahl, Hehlerei, Bedrohung und Verkehrsverstößen.
Aber 2004 steht Bakelmans erneut vor Gericht - und dieses Mal soll er eine 58-jährige Frau vergewaltigt haben. Die Frau hatte dem obdachlosen Bakelmans Unterkunft und Essen angeboten - er aber beraubte sie und verging sich an ihr. Vier Jahre Gefängnis kassiert er dafür und muss auch noch seine Strafen für vorherige Delikte absitzen. Gegen Ende 2008 wird Bakelmans nach der Verbüßung seiner Strafe wieder auf freien Fuß gesetzt - ohne Auflagen oder eine Nachverfolgung.
2016 schlägt Bakelmans erneut zu, vergewaltigt brutal seine Ex-Freundin und beraubt auch sie. Einige Tage später stellt er sich und kommt in Untersuchungshaft. Nur zweieinhalb Monate später wird er aber schon wieder - unter Auflagen - freigelassen. Auflagen, die er laut Justiz einhält. Ende Juni 2017 wird Bakelmans wegen dieser Vergewaltigung verurteilt - wieder zu vier Jahren Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft will einen unmittelbaren Haftantritt. Weil keine unmittelbare Fluchtgefahr besteht, kann das Gericht das aber nicht anordnen. Bakelmans legt Berufung ein und bleibt auf freiem Fuß.
Erst zwei Jahre später entscheidet das Antwerpener Berufungsgericht: fünf Jahre Gefängnis und 15 Jahre lang muss sich Bakelmans zur Verfügung des Strafvollstreckungsgerichts halten. Da hat er allerdings schon das Leben von Julie Van Espen ausgelöscht.
Wenig überraschend sorgt all das für enorm viel Wirbel und wirft grundsätzliche Fragen auf über den Umgang insbesondere mit Sexualstraftätern. Selbst der Hohe Justizrat befasst sich unter anderem damit, welche Fehler gemacht worden sein könnten.
Das Gutachten kritisiert scharf insbesondere das Antwerpener Berufungsgericht. Das räumt zwar ein, dass sich der Berufungsprozess zu lange hingezogen habe, verweist aber auf den Mangel an Richtern durch Einsparungen im Justizwesen. Der Hohe Justizrat beschränkt sich aber nicht nur auf Kritik, sondern verfasst auch eine Reihe konkreter Empfehlungen, um die Arbeitsweise der Justiz zu verbessern.
Zum Prozessbeginn haben die Anwälte der Angehörigen Julie Van Espens gefordert, den Prozess hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen. Die grausamen Einzelheiten der Tat sollten nicht in die Öffentlichkeit gelangen, sagte Anwalt John Maes der VRT. Das Schwurgericht müsse das Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall gegen die Interessen der Angehörigen abwägen. Die Familie von Julie Van Espen wolle damit vielleicht auch mehr Bewegung in die grundsätzliche Debatte bringen, ob bestimmte Dossiers nicht systematisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden sollten, unterstrich Maes.
Das Antwerpener Schwurgericht hat dieser Bitte der Angehörigen entsprochen und die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Insgesamt sind fünf Prozesstage angesetzt, das Urteil wird für den 21. Dezember erwartet.
belga/vrt/jp