Zum ersten Mal seit rund zwei Monaten sinkt die gemittelte Anzahl der Ansteckungen. Das geht aus den neuesten Zahlen des Instituts für Volksgesundheit (Sciensano) hervor. Für übertriebenen Enthusiasmus ist es aber sicherlich noch zu früh.
Virologen dämpfen Hoffnungen auf Lockerung
Es gebe noch sehr viele Unsicherheitsfaktoren, betonte der Sciensano-Virologe Steven Van Gucht in der Zeitung Het Laatste Nieuws. Von einer Lockerung könne noch eine ganze Weile keine Rede sein. Die positive Entwicklung stecke gerade erst in ihren Anfängen. Schon geringfügig mehr soziale Kontakte könnten das wieder kippen lassen, warnte Van Gucht.
Man sehe gerade eine Verbesserung der Epidemie. Die Beschleunigung habe aufgehört, jetzt sei es eine Verlangsamung, so der Virologe Emmanuel André in der RTBF. Das bedeute aber nicht, dass die Zahlen nicht noch immer hoch seien, es steckten sich noch immer viele Menschen an.
Diese Verlangsamung müsse man jetzt auch über die nächsten Wochen erhalten, auch das werde Anstrengungen erfordern, man habe noch nicht gewonnen. Aber zumindest wisse man jetzt, dass man das schaffen könne, so André.
Prozentual betrachtet sei die Abnahme noch nicht sehr groß, warnte auch der Biostatistiker Geert Molenberghs in der VRT, aber dennoch im Landesdurchschnitt eine Verringerung um immerhin vier Prozent im Vergleich zur Vorwoche.
Unterschiedliche Entwicklung in den Landesteilen
Für den Norden des Landes klingt das sogar deutlich positiver mit minus zehn bis zwölf Prozent in den meisten Provinzen, wobei Flandern von der vierten Welle natürlich auch am stärksten gebeutelt wurde beziehungsweise wird.
Für die anderen Landesteile ist der Trend dann auch weniger deutlich: Während diese Entwicklung in Flandern schon vor einigen Tagen eingesetzt hat, biegt sich die Infektionskurve in der Wallonie erst leicht, unterstrich der Biostatistiker Bart Mesuere. In Brüssel steigen die Zahlen sogar weiter, die Trendwende ist hier noch nicht in Sicht. Wobei man hier für die korrekte Einordnung auch anmerken muss, dass es in der Hauptstadtregion in dieser Welle nie so eine explosive Zunahme der Fälle wie etwa in Ost- und Westflandern gab.
Weitere Gründe für vorsichtigen Optimismus
Ebenfalls Anlass für so etwas wie vorsichtigen Optimismus gibt der Befund, dass die Ansteckungen in der Altersgruppe null bis neun Jahre langsam abzuflachen scheinen. Während man hier in der vergangenen Woche noch mit einer Zunahme von erschreckenden 50 Prozent konfrontiert war, sind es inzwischen "nur" noch 14 Prozent. In allen anderen Altersgruppen ist hingegen schon ein Rückgang der Infektionen zu beobachten.
Die positive Entwicklung kann man auch an der Reproduktionszahl R ablesen. Die ist endlich knapp unter den Wert von eins gesackt, was eben bedeutet, dass die Epidemie sich leicht abschwächt.
Ebenfalls gute Nachrichten gibt es aus den Krankenhäusern. Die Krankenhausaufnahmen sind im Vergleich zur Vorwoche um fünf Prozent zurückgegangen. Auch das kein spektakulärer Wert, aber immerhin eine Verbesserung. Außerdem ist das ein über sieben Tage gemittelter Wert. Betrachtet man die letzten paar Tage für sich, sind die Werte beeindruckender. Wobei zu betonen ist, dass man mit einzelnen Werten immer vorsichtig sein sollte, gerade nach Wochenenden.
Auf den Intensivstationen steigen die Belegungszahlen aber - zumindest noch. Gleiches gilt für die Todesfälle. Molenberghs geht davon, aus, dass mit der üblichen Verzögerung auch hier ein positiver Effekt zu erwarten sein wird. Aktuell sind 816 Intensivbetten belegt, der Druck bleibt also zwar hoch, aber zumindest muss man fürs Erste wohl eher nicht mehr mit einer extremen weiteren Verschlechterung rechnen.
Experten: Zusätzliche Maßnahmen haben geholfen
Nun kann man sich angesichts dieser zumindest leicht positiven Entwicklung natürlich fragen, ob die Verschärfungen der Konzertierungsausschüsse wirklich notwendig waren beziehungsweise sind. Zumindest für die Modellierer der Epidemie-Modelle ist die Antwort auf diese Frage aber deutlich: Durch die zusätzlichen Maßnahmen sei der Peak früher gekommen als ohne, so der Datenanalyst Jan Baetens.
Das sieht auch der Infektiologe Steven Callens so: Ohne Verschärfungen hätte die Gefahr bestanden, auf einem hohen Plateau hängen zu bleiben. Und genau das wolle man auch in den kommenden Wochen vermeiden, um das Gesundheitswesen zu entlasten. Je weniger Fälle es gebe, desto weniger ernste Erkrankungen gebe es natürlich auch.
Über all dem schwebt natürlich der dunkle Schatten der Omikron-Variante. Aktuell ist einfach noch sehr wenig bekannt über sie. Was im neuen Jahr passieren könnte, ist somit auch für die Biostatistiker und anderen Experten ein ziemlich großes und damit beunruhigendes Fragezeichen.
Boris Schmidt