"Man muss immer alles im Kontext sehen", sagt der Gouverneur der Nationalbank im Interview mit der RTBF. Die wirtschaftlichen Nachrichten seien über mehrere Monate hinweg systematisch sehr günstig gewesen, ebenso wie die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung.
Jetzt seien sie es eben ein bisschen weniger. Und das sei auch nicht unerwartet gekommen. Schon vor den Ferien habe er sich gesagt, dass irgendwann weniger gute Nachrichten kommen würden - und das sei eben jetzt der Fall.
Global betrachtet seien die Wirtschaftsaussichten weiterhin günstig, unterstrich Wunsch. Die Indikatoren wiesen weiter auf eine Erholung der Wirtschaft hin. Diese Erholung sei zwar vielleicht etwas weniger stark, als man vor ein oder zwei Monaten gehofft habe. Aber die Zahlen seien dennoch deutlich besser als vor einem halben Jahr erhofft.
Inflation
Es sei allerdings richtig, dass die Unsicherheit in puncto Inflation zugenommen habe, räumte der Nationalbank-Chef ein. Die Inflation sei höher ausgefallen als erwartet und diese Phase dauere auch länger, als man eigentlich gedacht habe. Dennoch glaube man weiterhin, dass es sich hierbei um eine zeitlich begrenzte Phase handele, so Wunsch.
Man könne aber nicht ausschließen, dass sich die hohe Inflation potenziell negativ auf die Kaufkraft auswirken könne, falls sie andauere. Wobei das für Belgien wegen der automatischen Indexanpassung vielleicht etwas weniger gelte als für andere Länder.
Lieferengpässe
Weniger kritisch sieht Wunsch hingegen die aktuellen Lieferengpässe. Die seien ungewohnt, so etwas habe man zuletzt in den 1970er Jahren während des Ölschocks erlebt. Weil man so etwas nicht gewohnt sei, gebe es auch keine entsprechenden Werkzeuge dagegen. Aktuell versuche man, besser zu verstehen, was da eigentlich vor sich gehe. Aber die Grundannahme sei deutlich: Was die Menschen sich wegen Lieferschwierigkeiten heute nicht kaufen könnten, das würden sie sich eben morgen kaufen.
Solange man also davon ausgehe, dass die fraglichen Produkte in Zukunft wieder verfügbar seien, sei zwar mit einer zeitlichen Verschiebung der wirtschaftlichen Wiederbelebung zu rechnen, aber nicht mit Schlimmerem. Besorgniserregender könne das dann werden, wenn die Engpässe zu einer tiefergehenden Negativspirale führten.
Mangelberufe
Engpässe in anderer Hinsicht, nämlich bei den sogenannten Mangelberufen, sieht der Gouverneur der Nationalbank derweil als zweischneidiges Schwert. Es sei richtig, dass der Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Feldern das Wirtschaftswachstum bremsen könne. Andererseits sei das Phänomen aber auch eine gute Nachricht. Jungen Berufseinsteigern und auch Rückkehrern in den Arbeitsmarkt böten sich dadurch Chancen, die Menschen früher nicht gehabt hätten, etwa, weil die Arbeitslosigkeit höher gewesen sei.
Das wirke sich aber auch auf die Wirtschaftspolitik aus. Die Herausforderung hier sei womöglich weniger eine generelle, breite Stützung der Wirtschaft, sondern vielmehr gezielte Maßnahmen, um die gesuchten Profile besser in Einklang zu bringen mit den zur Verfügung stehenden Ausbildungen beziehungsweise mit den Fähigkeiten der potenziellen Jobkandidaten, so Wunsch.
Boris Schmidt
Dann versuch ich mal alles im Kontext zu sehen.
Der Chef der belgischen Zentralbank, beschwichtigt und beschönigt die gegenwärtige wirtschaftliche Lage, sowohl im Hinblick auf die inflatorischren Risiken, als auch hinsichtlich der Lieferketten Probleme. Diese scheinen eben nicht temporärer, sondern struktueller Art zu sein. Stichwort hinreichende Abhängigkeiten bei Vorprodukten von China.
Auch wenn der Verantwortungsbereich des Herrn Wunsch ausschließlich die Geldpolitik ist, so ist doch derzeit eine „fiskale Dominanz“ vorherrschend. Belgien hat von allen OSZE-Staaten, die höchste Steuer- und Abgabenlast, noch vor Deutschland, bei gleichzeitig ausufernder Staatsverschuldung.
Ergo wird Belgien ohne Strukturreformen (Steuern- und Abgabenlast, Arbeitsmarkt, Vereinfachung der Staatstrukturen) nicht wieder auf die Beine kommen. Die reale Lage der Wirtschaft entspricht doch eher der, einer inflationären Depression.
Bleibt zu hoffen, dass hier nicht der „Wunsch der Vater des Gedanken ist.“
Herr Appelt
Ihre Analyse ist zutreffend.
In Belgien muss zuerst ein Umdenken erfolgen. Dies als Voraussetzung für wirkliche Reformen. Ziel : mehr soziale und steuerlichenGerechtigkeit.
Das Problem der Staatsverschuldung ist durchaus lösbar. Stichwort : Monetarisierung, d.h. die EZB oder die belgische Nationalbank kaufen einen noch zu bestimmenden Teil der Staatsverschuldung mit dem Ziel längerer Laufzeit der Schuldtitel. So kann sich der Staat Luft verschaffen, um Steuern und Abgaben zu senken und so Arbeit attraktiv zu machen. Denn bis jetzt wird Arbeit in der belgischen Politik als etwas negatives angesehen, was sich dann in hohen Einkommensteuern ausdrückt.
Die Analyse von Herrn Appelt mag vielleicht zutreffend sein, die des Herrn Scholzen ist es nicht.
-Seit mehreren Jahren kauft die EZB bereits Staatsanleihen von Mitgliedsstaaten auf (was übrigens vom deutschen Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 5. Mai 2020 gerügt wurde).
-Die belgische Nationalbank verfügt nach Einführung des Euros über keine Kompetenz, solche Anleihen aufzukaufen und die Geldmenge nach eigenem Gusto zu erhöhen.
-Die BNB gibt zwar Bargeld aus, aber: "Im Eurosystem dürfen nur die Zentralbanken Euro-Bargeld schaffen und in Umlauf bringen. Die Europäische Zentralbank hat dabei das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten zu genehmigen. Die Aufgabe der Notenausgabe obliegt den nationalen Zentralbanken – im Falle von Belgien also der Belgischen Nationalbank.
(Statista, leicht angepasst)
Wohl kaum jemand hat sich die Mühe gemacht, einen Euroschein genauer anzusehen. Darauf stehen am Rand die Abkürzungen "BCE" und "EZB" neben der Unterschrift von Mario Draghi.
Einfach googeln: "Die vier Missionen der BNB"