Einige der entscheidenden Fragen, die der Untersuchungsausschuss klären soll, sind: Wer hat was wann gewusst? Und: Warum hat es so lange gedauert, bis die Menschen über die mögliche Gefahr für ihre Gesundheit informiert worden sind?
Es zeichnet sich schon länger ab, dass die letzte flämische Regierung keine rühmliche Rolle gespielt hat. Im Juni diesen Jahres wurde bekannt, dass alle relevanten flämischen politischen Instanzen bereits im September 2017 auf dem Laufenden waren über zumindest lokale Probleme mit viel zu hohen PFOS-Werten. Das ging aus entsprechenden E-Mails hervor. Aber seitdem hatte sich noch ein weiterer Verdacht immer weiter erhärtet: Nämlich, dass die flämische Regierung aktiv verlangt hat, nicht über das Umweltproblem zu kommunizieren.
Zunächst ein kleiner Rückblick: Nachgewiesenermaßen war 2017 bekannt, dass das Gelände für die Oosterweel-Verbindung mit der giftigen Chemikalie PFOS verunreinigt war. PFOS aus der nahegelegenen 3M-Fabrik. Das stellte Lantis, die Bau- beziehungsweise Betreibergesellschaft der Oosterweel-Verbindung, und die flämische Regierung vor die Frage, wie man mit diesem Wissen umgehen sollte. Es wurde beschlossen, nicht darüber zu kommunizieren. Wenig überraschend eine Entscheidung, die für anhaltende, sehr scharfe Kritik sorgt, seit 2020 die breite Öffentlichkeit über die PFOS-Problematik erfahren hat.
Die bislang nicht geklärte Frage ist aber, wer diese Entscheidung, nicht zu kommunizieren, gefällt hat. Infrage kommen da sowohl Ben Weyts von der N-VA als damaliger flämischer Mobilitäts- und Aufsichtsminister von Lantis und heute flämischer Vize-Ministerpräsident; und die damalige CD&V-Umweltministerin Joke Schauvliege.
Hier herrscht jetzt ein zumindest etwas klareres Bild: Lantis hatte ja bereits 2017 darauf gedrungen, dass über die Umweltbelastung kommuniziert werden solle. Unter anderem bei der flämischen Abfallagentur OVAM und bei all den seit Juni bekannten flämischen Politikern. Die OVAM hatte damals nicht auf die Anfragen von Lantis reagiert: Laut der Abfallagentur hatte ein Minister darum gebeten, nicht in der Angelegenheit zu kommunizieren. Zuständige Aufsichtsministerin der OVAM war Joke Schauvliege. Die aber hat immer bestritten, eine solche Anweisung gegeben zu haben.
Neue, OVAM-interne E-Mail
Hier kommt die neue, OVAM-interne E-Mail einer Führungskraft ins Spiel. Sie stammt, wie die früheren Mails, aus dem September 2017. Ihr Wortlaut laut der VRT: "Ich habe inzwischen aus dem Kabinett die ausdrückliche Anordnung erhalten, dass wir keine Kommunikationsinitiative ergreifen dürfen in diesem Dossier. Wir dürfen auch keine Kontrolluntersuchung in dem Wohngebiet durchführen." Hier geht es also nicht nur um einen indirekten Maulkorb, sondern um ein explizites Verbot der Untersuchung eines möglichen Gesundheitsrisikos für die Anwohner. Und das ist schon eine Ansage. Offenbar war das auch der Abfallagentur OVAM bewusst. Denn ursprünglich wollte sie einen Monat später dennoch eine Informationsveranstaltung abhalten und auch entgegen der Anweisung Messungen durchführen. Beides wurde jedoch letztlich abgeblasen.
Die E-Mail spricht allerdings nur vom "Kabinett", nennt nicht ausdrücklich Schauvliege als Ursprung der Anweisung. Wie immer gilt also die Unschuldsvermutung. Schauvliege selbst will aber nicht reagieren, sie verweist auf den laufenden Untersuchungsausschuss. Sie hat nur mitteilen lassen, dass sie "über ausreichende Beweise verfüge, die sie auf den Tisch legen werde".
Lantis ließ die ganze Geschichte aber nicht auf sich beruhen. Rund ein Jahr später, im November 2018, drängte Lantis erneut darauf, schnell und öffentlich zu kommunizieren. Dieses Mal beim Kabinett des Lantis-Aufsichtsministers Weyts. Eine entsprechende, der VRT vorliegende, Mail ging vom Lantis-Kommunikationsdirektor an den Geschäftsführer Luc Hellemans und an Weyts' damaligen Kabinettschef Bart Van Camp. Van Camp ist seit 2019 übrigens selbst bei Lantis tätig. In seiner Nachricht warnt der Kommunikationsdirektor, dass "wider Erwarten" bislang nichts an die Öffentlichkeit durchgesickert sei. Dass das aber seiner Meinung nach nicht mehr lange so bleiben werde. Es gebe zu viele Beteiligte, die Bescheid wüssten. Außerdem seien mittlerweile Arbeiter mit deutlich sichtbarer Schutzausrüstung wie Schutzmasken auf dem Gelände tätig - das könne der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben. Und in der Tat gab es entsprechende Nachfragen. Eine Kommunikation erfolgte letztlich aber auch jetzt noch nicht.
Hier gilt aber ebenfalls: Die Mail sagt nicht, dass Minister Weyts eine Entscheidung traf, nicht zu kommunizieren. Er hat außerdem auch nie bestritten, informiert gewesen zu sein. Seine Verteidigung war und ist, dass er nicht befugt war, über eine globale Kommunikation in diesem Dossier zu entscheiden.
Aber eines scheint dennoch sicher: So oder so dürften diese neuen Enthüllungen noch Wellen schlagen.
Boris Schmidt