Der Kampf gegen Sexualstraftaten ist eine Priorität für Justizminister Van Quickenborne. Inhaltlich geht es um eine ganze Reihe teils sehr sensibler Punkte. Ein zentrales Element der Reform ist das Thema "Zustimmung" beziehungsweise "Einverständnis" im Kontext sexueller Handlungen. In der jetzigen Gesetzgebung bestehe ein Spielraum, ob eine Tat als Vergewaltigung gewertet werden könne, wenn keine Gewalt, Zwang oder bewusste Täuschung vorlägen, so Van Quickenborne bei Radio Eén.
Das soll sich in Zukunft radikal ändern: Dann soll es sich immer um den Tatbestand der Vergewaltigung handeln, wenn keine ausdrückliche Zustimmung vorliegt, betonte der Minister in der RTBF.
Und das Einverständnis könne auch jederzeit zurückgezogen werden. Und diese ausdrückliche Zustimmung kann auch nur dann als gegeben betrachtet werden, wenn die Ausübung des freien Willens einer Person nicht eingeschränkt ist, etwa durch Drogen oder andere Umstände.
Ein weiterer Punkt ist die sexuelle Volljährigkeit: Die soll im neuen Strafgesetzbuch bei 16 Jahren liegen. Sexuelle Handlungen mit Personen, die jünger sind, wären dann eindeutig als Vergewaltigung definiert – selbst wenn ein Einverständnis vorliegen sollte.
Dabei soll es jedoch eine Ausnahme geben, nämlich dann, wenn der Altersunterschied zwischen den Sexualpartnern weniger als zwei Jahre beträgt. Nach bisherigem Recht werden sexuelle Handlungen zwischen 14- bis 16-Jährigen und älteren Personen nur als sexueller Übergriff gewertet.
Strengere Strafen
Auch die Strafen für unter anderem Vergewaltigung sollen steigen: Schwerere Strafen gehörten zum Gesamtpaket der Maßnahmen, um die Opfer sexueller Gewalt besser zu schützen, so der Justizminister. Die Höchststrafe für Vergewaltigung soll dann auf zehn Jahre angehoben werden. Es soll im neuen Strafgesetzbuch aber auch die Möglichkeit geben, alternative Strafen zum Gefängnis zu verhängen.
Aber den Opfern soll nicht nur durch eine schärfere Bestrafung der Täter geholfen werden: Daneben soll auch die Zahl der Betreuungszentren für Opfer sexueller Gewalt erhöht werden, jede Provinz soll über eine solche Einrichtung verfügen.
Des Weiteren soll auch das Sammeln von Beweisen nach mutmaßlichen Sexualstraftaten verbessert werden. Aktuell stünde zu oft Aussage gegen Aussage, was die Ermittlungen und Prozesse gegen mögliche Täter erschwere. Außerdem sollten Beamte und Magistrate auch einschlägig geschult werden.
Daneben geht es in der Reform aber auch noch um eine Harmonisierung der Rechtsprechung bezüglich zahlreicher weiterer Straftaten, unter anderem Inzest, Voyeurismus oder die Verbreitung privater Aufnahmen sexueller Natur ohne Zustimmung. Außerdem soll häusliche Gewalt beispielsweise bei Tötungsdelikten als erschwerender Umstand gelten.
Prostitution
Ein weiterer Bereich, den der Justizminister strafrechtlich unbedingt überarbeiten will, ist der der Prostitution: Die heutige Politik sei scheinheilig, so Van Quickenborne. Einerseits werde Prostitution irgendwie toleriert. Andererseits sei die Handhabung vor Ort geprägt von Inkohärenz und Willkür. Die einen Staatsanwaltschaften verfolgten sie, andere wiederum nicht.
Da solle in Zukunft Klarheit herrschen: Wenn es sich um einvernehmliche Handlungen zwischen Erwachsenen handele, dann müsse die Prostitution entkriminalisiert werden. Das sei aber nur die eine Seite.
Im Gegenzug sollen nämlich die Anstiftung zur Prostitution, die Werbung dafür, Zuhälterei und Vorteilnahme als Straftaten behandelt werden. Außerdem will der Justizminister auch ein Sozialstatut für Prostituierte. Daran arbeite er gemeinsam mit dem föderalen Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne (PS).
Die Coronakrise habe gezeigt, wie skandalös die Lage der Prostituierten ohne Sozialstatut gewesen sei. Das müsse sich ändern, so Van Quickenborne.
Boris Schmidt