Dass die Gesundheitskrise gerade für geschlossene Gemeinschaften wie in den Gefängnissen kompliziert war und ist, ist sicher kein überraschender Befund. Insbesondere angesichts der Überbelegung in den Anstalten und den dadurch beengten Verhältnissen. Der Kontrollrat ist aber im Allgemeinen eher zufrieden mit der Behandlung von Gefängnisinsassen in Belgien. Er hebt in seinem Bericht außerdem explizit hervor, was für einen guten Job die Gefängnisse gemacht haben, was den rein epidemiologischen Aspekt des dortigen Krisenmanagements angeht. Auch wenn leider die geistige Gesundheit und die Psyche nicht als ebenso wichtige Risiken betrachtet worden seien. Es sei aber gelungen, die Corona-Ausbrüche in den Anstalten mehr oder minder gut zu verhindern beziehungsweise in Schach zu halten.
Das hat auch der föderale Justizminister Vincent Van Quickenborne (OpenVLD) am Montagmorgen in der VRT gelobt. Die Strafvollzugsbeamten hätten hier enorm viel und gute Arbeit geleistet.
Psychisches Wohlbefinden
Aber das hat auch seinen Preis gehabt. Insbesondere für die Psyche der Insassen, wie der Jahresbericht hervorhebt. Besuche beispielsweise waren extrem eingeschränkt beziehungsweise während der Hochphasen der Epidemie ganz unmöglich. Das was die normale Bevölkerung, also außerhalb der Gefängnisse, während der Krise habe durchmachen müssen, sei schon nicht einfach gewesen, so Marc Nève, der Vorsitzende des Kontrollrats, in der RTBF. Aber für Häftlinge sei das alles noch unendlich viel schwieriger gewesen, gerade für diejenigen, die schon vor Corona auf soziale Kontakte angewiesen gewesen seien.
Nève lobt aber in diesem Zusammenhang, dass den Gefangenen zusätzliche Guthaben für Videokonferenzen mit Angehörigen zur Verfügung gestellt worden seien, um die Isolation zu mildern. Das sei aber eben auch nicht immer eine ausreichende Lösung gewesen. Viele Angehörige von Häftlingen lebten unter besonders prekären Umständen und hätten deswegen nicht immer Zugang zu den entsprechenden technologischen Mitteln, um auf diese Weise zu kommunizieren, so der Vorsitzende des Kontrollrats.
Es sind aber nicht nur die sozialen Kontakte, die gelitten haben: Auch etwa die Vorbereitung der Häftlinge auf das Leben nach dem Gefängnis, also für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, musste wegen des Virus' teilweise auf Eis gelegt werden.
Der Jahresbericht hält auch fest, dass gerade während der ersten Corona-Welle für zahlreiche Häftlinge die Möglichkeit einer Haftunterbrechung bestand. Oder sogar die einer verfrühten Freilassung, um den Druck in den Anstalten zumindest temporär zu verringern. Ein Punkt, den Marc Nève explizit hervorhebt. Der Kontrollrat stelle fest, dass es durch den entsprechenden politischen Willen kombiniert mit dem Engagement aller Akteure des Justizsektors gelungen sei, Hunderte Menschen entweder freizulassen oder gar nicht erst in die Gefängnisse zu schicken – ohne dass die Sicherheit darunter gelitten habe.
Alternative Strafen
Dennoch war das Ganze wohl eher ein temporärer Effekt, denn nach dem Abflauen der Krise ist die Belegung der belgischen Haftanstalten wieder deutlich gestiegen und hat fast wieder das ursprüngliche Niveau erreicht. Und das ist für Marc Nève eine verpasste Chance. Man habe es versäumt, das Problem der überfüllten Gefängnisse strukturell anzugehen. Der Kontrollrat empfiehlt in seinem Bericht deswegen, vermehrt auf alternative Strafen anstelle der klassischen Gefängnisstrafen zu setzen.
Ein Ansinnen, das beim Justizminister nicht auf taube Ohren fällt. Auch wenn der differenziert: Gefängnisstrafen müssten immer das letztmögliche Mittel sein. Aber manchmal seien sie eben schlicht notwendig, so Van Quickenborne. Belgien übertreibe auch etwa nicht beim Einsperren von Menschen. Auf 100.000 Einwohner gerechnet gäbe es hierzulande 93 Häftlinge. Zehn weniger als der europäische Durchschnitt.
Dennoch räumt der Justizminister ein, dass allein die Schaffung neuer Gefängnisplätze die Lage nicht entspannen werde. Es müsse mehr getan werden: Darunter falle etwa die Unterbringung von Häftlingen in deutlich kleineren Einrichtungen, um die Rückfallquote zu reduzieren. Und dann vor allem die geplante Reform des Strafgesetzbuches. Darin solle dann die Möglichkeit, sinnvolle alternative Strafen zu verhängen, deutlich gestärkt werden.
Als Beispiele, in denen er den Sinn von Haftstrafen nach der aktuellen Gesetzeslage hinterfrage, nennt der Justizminister etwa Verkehrsdelikte ohne Opfer oder Verstöße gegen die Corona-Regeln. Deswegen sei es seiner Meinung nach besser, wenn das neue Strafgesetzbuch hier deutlicher differenziere.
Boris Schmidt