Montagvormittag, Place St. Catherine im Zentrum von Brüssel: Mehrere hundert Menschen stehen dort zusammen, skandieren Slogans wie "Solidarität", klatschen in die Hände. Einige von ihnen sind schon seit den frühesten Morgenstunden auf dem Platz. Die meisten von ihnen haben zwei Dinge gemein: Sie wohnen selbst nicht in Brüssel und gehören zu der Gruppe der so genannten Menschen ohne Papiere. Menschen ausländischer Herkunft, die sich ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung in Belgien befinden.
Rund 450 solcher Menschen ohne Papiere hatten zwei Monate lang die Öffentlichkeit in Atem gehalten. Sie hatten drei Orte der Brüsseler Innenstadt knapp zwei Monate lang besetzt, waren in einen Hungerstreik getreten. Erst vergangene Woche hatte sich die Situation entspannt. Da hatte der zuständige föderale Staatssekretär Samy Mahdi von der CD&V einen Deal mit den Hungerstreikenden geschlossen. Ergebnis: Sie brachen ihren Hungerstreik ab.
Als Gegenleistung stellte Mahdi ihnen in Aussicht, dass sie in einer "Neutralen Zone" in der Brüsseler Innenstadt von Beamten seines Ministeriums beraten würden. Ziel: Schauen, ob eine Regularisierung der Hungerstreikenden möglich sei. Nicht pauschal, sondern nach der Beurteilung jedes einzelnen Falls.
Doch irgendwas in der Kommunikation muss da schiefgelaufen sein. Die Menschen ohne Papiere, die am Montagvormittag auf der Place St. Catherine stehen, sind davon überzeugt, dass das Angebot der Neutralen Zone auch für sie gilt. Diese Zone soll eigentlich um 11 Uhr öffnen. Um 12 Uhr ist sie immer noch geschlossen. Den ganzen Tag über bleiben schließlich die Tore zu. Und das führt zu Frust unter den Wartenden. Eine Frau sagt: "Bislang warten wir. Hat man noch keine Entscheidung treffen können? Können sie denn nichts machen für uns? Ja oder nein? Eins von beiden."
Verständnis für die Wartenden hat Coralie Hublau. Sie engagiert sich im Brüsseler Verein Ciré, der sich um Flüchtlinge und Ausländer kümmert. Auch sie ist auf die Place St. Catherine gekommen und erklärt: "Die Entscheidungsträger eröffnen einen Ort, an dem man direkt Fragen an einen Beamten zu seinem Einzelfall stellen kann. Und das lockt natürlich viele Menschen an, die sich heute hier versammelt haben."
Ein Flugblatt des Ausländeramtes bringt schließlich etwas Klarheit für die Wartenden. Die Polizei verteilt das Blatt. Auf Flämisch, Französisch und Englisch ist darauf unter anderem zu lesen: "Die Neutrale Zone ist geschlossen. Hier kann kein Antrag auf Regularisierung eingereicht werden. Es gibt keine kollektive Regularisierung. Kontaktieren Sie Ihren Anwalt."
Nach und nach löst sich daraufhin die Menschenmenge auf. Wenig später gibt es eine erste Stellungnahme von Staatssekretär Mahdi. Er spricht von "Fake News", durch die die Menschen ohne Papiere nach Brüssel gelockt würden. Man mache den Menschen falsche Hoffnungen. Denn die Neutrale Zone sei nur für die Menschen ohne Papiere eingerichtet worden, die im Hungerstreik waren.
Abends ist Mahdi auch in den Medien zu hören. Dort sagt er: "Ich muss als Staatssekretär diese Anfragen ablehnen. Die Antwort ist: Nein, diese Menschen werden nicht eine kollektive Anerkennung bekommen. Und: Nein, es bringt nichts, zur Neutralen Zone zu kommen, wenn jemand denkt, dass es hier einfacher sein könnte, an Aufenthaltspapiere zu gelangen."
Es bleibt abzuwarten, ob diese Botschaft ankommt. Abzuwarten bleibt auch, was in der Neutralen Zone mit den Menschen ohne Papiere geschieht, mit denen Mahdi vergangene Woche seinen Deal geschlossen hat. Diese Menschen erholen sich zurzeit noch von ihren Streikstrapazen. Wahrscheinlich erst nächste Woche, sagte einer ihrer Vertreter am Montag, wären sie körperlich soweit wieder hergestellt, dass sie sich in die Neutrale Zone zu ersten Gesprächen mit Beamten begeben könnten.
Kay Wagner