Wo ist Jürgen Conings? Der Terrorverdächtige ist seit einer Woche wie vom Erdboden verschluckt. Zuletzt gesehen wurde der 46-Jährige am Dienstag vergangener Woche, als er mit vier Panzerabwehrhandwaffen und zwei Handfeuerwaffen die Kaserne von Leopoldsburg verließ. Danach nichts mehr.
An sich ist das in gewisser Weise auch eine gute Neuigkeit. Denn Jürgen Conings hatte in mehreren Abschiedsbriefen klar durchblicken lassen, dass er zur Tat schreiten wollte. Er sprach unter anderem von einem "Anschlag auf das System". Außerdem soll er nach Erkenntnissen der Ermittler am Montag vergangener Woche vor einem Haus von Marc Van Ranst auf der Lauer gelegen haben. Conings hatte den Virologen im Internet offen mit dem Tod bedroht. Wenn man also seit einer Woche nichts von ihm gesehen und gehört hat, dann bedeutet das wenigstens, dass noch niemand zu Schaden gekommen ist.
Doch muss man einen Terrorverdächtigen freilich immer noch dingfest machen. Am Sonntag hatte Föderalprokurator Frédéric Van Leeuw einen bemerkenswerten Fernsehappell gestartet, und zwar live in den 19-Uhr-Nachrichtensendungen von VRT und VTM. Dabei machte er zunächst klar, dass man im Sinne der Sicherheit aller gehandelt habe, auch der Sicherheit von Jürgen Conings. Damit wollte Van Leeuw wohl auch eine Falschmeldung aus der Welt schaffen. Einige Medien hatten von einer Anweisung berichtet, wonach Conings mit einem gezielten Todesschuss zu neutralisieren sei. Eine solche "Licence to kill" gibt es aber nicht in Belgien.
Am Ende wandte sich der Föderalprokurator dann aber nochmal direkt an den Flüchtigen: "Wir bitten Jürgen Conings darum, mit einem Menschen Kontakt aufzunehmen, dem er vertraut." Aus diesem einen Sätzchen kann man womöglich gleich zwei Thesen ableiten. Erstens: Es mag fast so aussehen, als hätten die Ermittler keinen Schimmer, wo sie gerade suchen müssen. Das kann aber freilich auch eine Finte sein.
Zweite, wahrscheinlichere Mutmaßung: Der Föderalprokurator scheint davon auszugehen, dass Conings ihn hört und vielleicht auch sieht, also dass der Flüchtige vielleicht sogar irgendwo vor einem Bildschirm sitzt. Denn inzwischen gehen die Ermittler anscheinend davon aus, dass Conings seine Aktion von langer Hand vorbereitet hatte. Entweder er verfügt über einen Unterschlupf, oder er ist irgendwo untergekommen.
Davon abgesehen: So oder so ist er nicht allein. Es gab ja eine Facebook-Unterstützer-Gruppe, die am Ende knapp 50.000 Mitglieder zählte. Einige von ihnen hatten ja sogar Protestmärsche organisiert. Name der Gruppe: "Wie ein Mann hinter Jürgen". Facebook hat die Seite inzwischen entfernt: Die Verherrlichung oder Unterstützung von Terroristen verstoße gegen die Geschäftsbedingungen.
Erste Konsequenzen
Bleibt die Frage aller Fragen: Wie konnte das passieren? Der Druck auf die Verantwortlichen wird mit jedem Tag größer. Die PS-Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder gerät zunehmend in die Defensive. Dedonder hat sich am Dienstag zusammen mit Generalstabchef Michel Hofman der Presse gestellt.
Beide gaben sich fast demütig: Diese Geschichte wird wohl Fehler nach oben spülen, sagte Ludivine Dedonder. Fehler, die durch die laufenden Untersuchungen identifiziert und dann auch korrigiert werden müssten. Generalstabschef Michel Hofman wurde konkreter: Es gab wohl Fehler beim Informationsaustausch, auch Mängel bei der Befolgung von Prozeduren und Regeln - und es sei wohl auch viel Erfahrung verloren gegangen.
Erste Lehren seien aber bereits gezogen worden, versicherte Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder. So sei dafür gesorgt worden, dass elf Soldaten nicht mehr mit Waffen in Berührung kommen. Vergleichbare Maßnahmen könnten auf der Grundlage möglicher neuer Erkenntnisse des Militärgeheimdienstes in den nächsten Tagen folgen. Hier handelt es sich wohl um Leute, die die Nachrichtendienste wegen rechtsextremer Umtriebe schon auf dem Schirm hatten.
Dedonder schloss jedenfalls einen Rücktritt aus: Ihre Arbeit sei noch nicht abgeschlossen. Die Ministerin und auch der Armeechef bedauerten, dass die ganze Truppe wegen dieser Geschichte in ein schlechtes Licht gerückt werde. Er hoffe aber in erster Linie, sagte Admiral Michel Hofman, dass der ganze Fall schnell und hoffentlich ohne Blutvergießen beendet werden könne.
Roger Pint