Jede Regierung, die solche Zahlen in Normalzeiten vorgelegt hätte, die wäre wohl aus dem Amt gejagt worden. Nur leben wir eben nicht in Normalzeiten. Besagte Zahlen betreffen die Staatsfinanzen. Und da blickt man in Abgründe. Zu lesen sind sie im jüngsten Bericht des ICN, des Instituts der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, wie es offiziell heißt.
Demnach belief sich das gesamtbelgische Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr auf 9,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Drei-Prozent-Defizitgrenze, die der Euro-Stabilitätspakt eigentlich vorsieht, wurde damit also regelrecht gesprengt. In Euro ausgedrückt wird das wahre Ausmaß deutlicher: ein Minus von 42 Milliarden Euro. Im laufenden Jahr wird das auch nicht wirklich besser aussehen - auch in diesem Jahr wird ein immer noch astronomisches Haushaltsdefizit erwartet in Höhe von rund 6,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, rund 30 Milliarden Euro.
Das sind also neue Schulden; Schulden, die dem ohnehin schon sprichwörtlichen belgischen Schuldenberg noch hinzuaddiert werden müssen. Der erreicht inzwischen wieder schwindelnde Höhen: 114 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - in Euro ausgedrückt: 515 Milliarden Euro. 114 Prozent, das bedeutet also, dass die Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres nicht mehr reichen würde, um die Schulden zu bezahlen. Auf einem solchen Niveau war die Staatsschuld lange nicht mehr. 2018 und 2019 war man stolz, dass die Schuldenquote endlich nochmal unter 100 Prozent lag - zum ersten Mal seit der Finanzkrise von 2008-2009. Jetzt also: 114 Prozent. Tendenz steigend. Laut Projektionen wird die Schuldenquote bis 2024 sogar auf 119 Prozent ansteigen.
Muss man sich da Sorgen machen? Der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Étienne de Callataÿ sieht das erstaunlich gelassen. Natürlich seien neue Schulden nie eine wirklich gute Neuigkeit. Und doch hätten die Regierungen des Landes richtig gehandelt, sagte de Callataÿ in der RTBF. "Es war richtig, die Wirtschaft mit staatlichen Mitteln zu retten. Alles andere wäre noch schlimmer gewesen. Man müsse schließlich nicht reich sterben", sagt der Ökonom.
Diese Schuldenquote von 114 Prozent, die müsse man eben in ihren Kontext einbetten. In Normalzeiten hätte das vielleicht für Unruhe gesorgt, wären die Zinsen für belgische Staatsanleihen schlimmstenfalls durch die Decke gegangen. Stattdessen scheinen die Verbindlichkeiten jetzt aber in gewisser Weise "toleriert" zu werden. Der beste Beweis, so sagt Étienne de Callataÿ: Belgien leiht sein Geld nach wie vor zu extrem günstigen Konditionen. Mit einem reinrassig paradoxen Resultat, sagt Étienne de Callataÿ: Im Moment ist die Gesamtzinsenlast trotz der gestiegenen Staatsschuld niedriger als in der Vergangenheit. Nur, Vorsicht, sagt der Wirtschaftswissenschaftler: Das soll jetzt natürlich keine Lizenz zum Schuldenmachen sein. Denn: Mit jeder Milliarde mehr auf dem Schuldenberg wird das Land abhängiger von den Finanzmärkten und von deren Launen.
Heißt also: Man wird diesen Schuldenberg wieder abbauen müssen. Nicht morgen, nicht übermorgen, auch nicht in sechs Monaten. Aber langfristig wird man das Gesamtniveau der Verbindlichkeiten wieder senken müssen. Über einen Mix aus höheren Steuern und Sparmaßnahmen, wie das immer so ist. Aber, es gäbe da vielleicht noch eine dritte Option. Zu den Gläubigern gehört ja auch die Europäische Zentralbank, die in den letzten Jahren in großem Stil Staatsanleihen angekauft hat. Nun, es sei denkbar, dass die EZB einen Teil der Schulden quasi einfriert - oder irgendwann sogar erlässt.
Einigen Ländern darf man das vielleicht nicht zu laut sagen. Aber, dennoch: Für den Wirtschaftswissenschaftler ist erstmal wichtig, dass man dafür sorgt, dass der Kahn nicht absäuft. Alles andere sehen wir später.
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Roger Pint
Soll das schonmal die zaghafte Ankündigung eines "Korona- Zuschlages" sein, zu dem man sich leider gezwungen sieht? Wir werden es erleben.