"Das war ein Sieg für den Rechtsstaat", erklärte Olivia Venet am Donnerstagmorgen in der RTBF. Sie ist die Präsidentin der frankophonen Menschenrechtsliga. Das zeige, dass die Regeln und die Gewaltenteilung uns weiter vor Willkür schützten. Denn ministerielle Beschlüsse brächten eine viel größere Gefahr für Willkür mit sich als ein parlamentarisch debattiertes und beschlossenes Gesetz. Und über solche ministeriellen Beschlüsse laufen die Corona-Regeln ja.
Für sie zeige das, dass die Demokratie in Belgien lebendig sei, freute sich Venet, und wie wichtig die Gewaltenteilung sei. Die Justiz habe gezeigt, dass sie unabhängig von der Exekutive sei und dass sie Urteile fällen könne, die deren Interesse entgegen liefen. Das sei unerlässlich.
Genauso unerlässlich wie die demokratische Debatte. Nur so könnten die Menschen die Entscheidungen der politisch Verantwortlichen verstehen - und dann befolgen. Sie sei auch sehr erfreut darüber, wie motiviert sich die Kammerabgeordneten am Mittwoch bereits gezeigt hätten, um ein angemessenes Pandemie-Gesetz zu erreichen. Eine dynamische gesetzgebende Gewalt, sprich das Parlament, garantiere den Rechtsstaat, erinnerte Venet.
Es sei ja auch bei Weitem nicht nur die Menschenrechtsliga gewesen, die seit Langem einen angemessenen gesetzlichen Rahmen und vor allem auch eine echte parlamentarische Debatte gefordert hätte, also eine wirkliche demokratische Kontrolle der Maßnahmen. Etwas, was beim Regieren über Sondervollmachten und ministerielle Beschlüsse nicht gegeben sei. Worum es aber sicher nicht gegangen sei, und das betonte Venet energisch, das sei, eine Aufhebung der Schutzmaßregeln zu erreichen.
Vor Gericht gezogen sei die Menschenrechtsliga aus einem Grund: Aus Verzweiflung darüber, dass es keine Bewegung in dieser Sache gegeben habe. Deswegen betone sie ausdrücklich, dass die Schutzmaßregeln bis auf Weiteres gültig bleiben und dass diese Regeln auch befolgt werden müssten. Einfach, weil es wichtig sei, die Ausbreitung des Virus zu bremsen und zu verhindern, dass die Krankenhäuser überlastet würden.
Die Menschen würden als freie und verantwortungsvolle Bürger die Schutzvorkehrungen einhalten, weil sie logisch und notwendig seien und nicht aus Angst vor Strafen. Die Menschen seien doch keine Kinder oder Untertanen. Die Menschen würden die Masken auch tragen, ohne dass der Staat andernfalls mit einer Strafe von 150 Euro drohe, so Venet.
Sie sieht aber ein, dass die Gerichtsentscheidung für eine gewisse Unsicherheit sorgen wird. Aber das sei letztlich nicht ihre Schuld, sondern die des Staates. Denn hier hätte viel früher gehandelt werden können und müssen. Dann wäre man jetzt auch schon viel weiter in der entsprechenden Debatte über einen Gesetzentwurf.
"Einen" wohlgemerkt, nicht "den". Denn mit dem aktuellen Entwurf der Regierung ist die Präsidentin der Menschenrechtsliga alles andere als zufrieden. Da stünden nur Verbote und Strafandrohungen drin. Das reiche einfach nicht. Es handele sich um einen Entwurf, der einfach aus den bisherigen ministeriellen Beschlüssen zusammengebastelt worden sei. Das mache überhaupt keinen Sinn.
Was sie erwarte, sei, dass die Regierung einen Plan vorschlage, wie einschränkende Maßnahmen überhaupt vermieden werden könnten. Es seien ja auch nicht nur die Menschenrechtsliga und die Opposition, die den jetzigen Text kritisierten. Medizinische Experten, juristische Experten, Verfassungsexperten, sie alle sähen das so. Und deswegen müsse die Regierung den Text überarbeiten, fordert Venet.
Boris Schmidt