"Dieser Unfall kommt mit Ansage", sagte der N-VA-Fraktionsvorsitzende Peter De Roover in der Kammer. Und, Ehre, wem Ehre gebührt: Eben dieser Peter De Roover hat tatsächlich in den letzten Wochen quasi keine Gelegenheit ausgelassen, um die Regierung vor genau diesem Fall zu warnen. De Roover war da freilich nicht allein. Auch Rechtsexperten hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass die Corona-Einschränkungen auf rechtlich sandigem Boden standen.
Es ist ja so: In Belgien gibt es bislang kein reines "Pandemie-Gesetz", oder "Bevölkerungsschutzgesetz", wie es etwa in der benachbarten Bundesrepublik Deutschland heißt. Stattdessen sind die Regierungen seit einem Jahr dazu gezwungen, etwas zu improvisieren, wenn es darum geht, den Corona-Maßnahmen eine rechtliche Grundlage zu geben.
Konkret dienen derzeit vor allem zwei Gesetze als Basis: zum einen das "Gesetz über das Polizeiamt" von 1992, zum anderen das "Gesetz über die zivile Sicherheit" von 2007. Gerade dieses Gesetz über die zivile Sicherheit hat aber einen entscheidenden Haken: Es wurde eigentlich konzipiert mit Blick auf akute und zeitlich begrenzte Notsituationen, wie z.B. ein Großbrand oder eine Explosion. Die Corona-Krise, die ist definitiv nicht zeitlich begrenzt.
Als die Corona-Maßnahmen im Februar dann doch wieder auf dieser Grundlage über einen simplen ministeriellen Erlass verlängert wurden, entschloss sich die Menschenrechtsliga gegen die Entscheidung zu klagen und ein Eilverfahren anzustrengen. Dabei führte man eben diese wacklige Grundlage als Kernargument an. Und, Überraschung: Das zuständige Brüsseler Gericht gab der Klage statt.
Kein Ende der Corona-Maßnahmen
In der entsprechenden einstweiligen Verfügung stellt das Gericht fest, dass die als rechtliche Grundlage herangezogenen Gesetzestexte sich nicht auf die Corona-Krise anwenden lassen. Und dass - entsprechend - die einschneidenden Corona-Maßnahmen und insbesondere die Einschränkungen der verfassungsrechtlich verankerten Freiheitsrechte nicht auf einer ausreichend soliden rechtlichen Grundlage beruhen. Anders gesagt: Die Maßnahmen sind unrechtmäßig.
Das Gericht gibt dem Gesetzgeber 30 Tage Zeit, um die Rechtslage zu korrigieren. Anderenfalls droht ein Zwangsgeld von 5.000 Euro pro Tag.
Aber Vorsicht, stellte Kati Verstrepen, die Anwältin der Menschenrechtsliga, in der VRT klar: Die einstweilige Verfügung bedeutet lediglich, dass die derzeitige rechtliche Grundlage für die Corona-Maßnahmen nicht ausreicht und entsprechend angepasst werden muss. Das bedeutet NICHT, dass die - im Übrigen nötigen - Corona-Maßnahmen dadurch aufgehoben würden. Jeder muss sich weiter daran halten. Ganz davon abgesehen hat der Föderalstaat ohnehin noch die Möglichkeit, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen.
Blamage für die Regierung
Doch sei dieser Richterspruch dennoch eine ziemliche Blamage für die Regierung und im Besonderen für Innenministerin Annelies Verlinden und Premierminister Alexander De Croo, giftete Peter De Roover. Und der politische Schaden sei gigantisch.
So muss es natürlich die Opposition sehen. Wobei: Vor allem in den letzten Wochen war deutlich geworden, dass auch innerhalb der Mehrheit die Bauchschmerzen größer wurden angesichts der offensichtlich schwammigen Rechtsgrundlage. Nachdem man lange Zeit eher halbherzig ein Pandemie-Gesetz versprochen hatte, kam das Projekt plötzlich in eine Stromschnelle.
Wohlwissend, dass man sich mit einem solchen Pandemiegesetz auch auf gefährlichen Boden begibt. Vor allem gilt es zu vermeiden, dass ein solcher Text möglicherweise Raum für Missbrauch geben könnte, etwa durch eine Regierung, die aus nicht ganz so lupenreinen Demokraten bestünde.
Auch deswegen hat sich die Mehrheit für eine unübliche Vorgehensweise entschieden. Man legte dem Parlament schon einen Vorentwurf zur Begutachtung vor. In der Praxis bedeutet das, dass man eben nicht mit einem fertigen Text ankommt und den abnicken lässt, sondern dass man das geschlossene Parlament an der Ausarbeitung beteiligt. Und, natürlich gibt es dann auch Kritik, gab unter anderem Stefaan Van Hecke von Groen den Mehrheitsstandpunkt wieder. "Ist das schlimm? Nein! Im Gegenteil! Das ist Sinn und Zweck der Sache. Wir wollen doch schließlich alle gemeinsam den Text verbessern."
Ob das Pandemie-Gesetz innerhalb der nächsten 30 Tage spruchreif sein kann, das sei dahingestellt. Aber, so oder so bedeutet das Brüsseler Gerichtsurteil auch nach Ablauf der Frist nicht automatisch das Ende der Corona-Maßnahmen. Wobei der Brüsseler Richterspruch möglicherweise doch Tür und Tor für neue Klagen öffnen könnte. Gesünder wäre denn auch in jedem Fall eine rechtlich wirklich wasserdichte Grundlage.
Roger Pint
Haben wir schon den 1sten April?
Bekommen jetzt alle ihre gezahlten Geldstrafen zurück......
Illegal? Wird es dann legal werden, rücksichtslos zu sein und andere anzustecken? Ich lasse mich überraschen.
Haben unsere Gerichte nichts besseres zu tun ? Einfach traurig
Die sollten zuerst mal aufhören, die Menschen mit Zahlentricksereien zu belügen.
Kann man auch dagegen juristisch vorgehen?
Kein Grund zur Hysterie. Es wird einfach nur eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Die Höhe der Sanktionen, auch noch gedeckelt, ist allerdings ein Witz für einen Staat. Erstaunlich genug, dass das Fehlen eines passenden Gesetzes erst nach einem Jahr bemerkt wurde.
Der oberste Foederalgericht ist schon zu letzt sehr negativ aufgefallen.
Das jetzige Urteil der Foederalbeamten aus der zweifelhaften Brüsseler Justiz dürfte Wasser auf die Mühlen aller Rechtsextremistischen Kräfte im Land werden.
Ich hoffe die Regierung De Croo verliert nicht die Courage sondern wird Rechtsmittel gegen diese Beamten einlegen, denen die Sicherheit der Menschen anscheinend nur von untergeordnetem Interesse ist.
Absolut richtig Herr Drescher!
Oder lieber sterben als ein paar Monate zu Hause bleiben?
Aaahh, ich mich *freu*. Noch 2 Wellen und Lockdowns, dann ist endlich Weihnachten.
Wurde doch schon Berufung gegen eingelegt.....
Das ist mal wieder eine "histoire belge". Und dann ausgerechnet einen Tag vor dem 1. April. Da kann man nicht mehr lachen, da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln und sich fragen, von was für Leuten man regiert wird. Die kriegen Erlasse und Verordnungen im Hauruckverfahren fertig aber kein Gesetz. Für die internationale Glaubwürdigkeit Belgiens ist das nicht gut. In der jetzigen Situation kann Belgien schlecht anderen Ländern Vorhaltungen bezüglich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit machen.
Der Herr Drescher, keine Ahnung von der belgischen Justizstruktur, aber davon ganz viel.
Die Justiz ist in Belgien nicht regionalisiert, es gibt also kein "oberstes Foederalgericht" (Bundesgerichtshof), sondern einen Kassationshof, einen Verfassungsgerichtshof und den Staatsrat als oberste Instanzen.
Keine davon hat hier geurteilt, sondern nur ein Richter des Brüsseler Gerichtes Erster Instanz in einem Eilverfahren ("juge des référés"). Es wird auch kein "Urteil" ("jugement") gefällt, sondern nur eine "einstweilige Verfügung" ("ordonnance en référé") mit vorläufigem Charakter bis zur Grundsatzentscheidung in einem normalen Verfahren vor einer normalen Kammer ("juge du fond").
"...denen die Sicherheit der Menschen anscheinend nur von untergeordnetem Interesse ist."
Ein Richter hat die Aufgabe, Recht zu sprechen und nicht, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Dafür sind andere zuständig.
Richter sind auch keine weisungsgebundenen "Beamten".
Keine Sorge übrigens, Rechtsmittel hat die Regierung bereits angekündigt.
Danke für Ihre Schulstunde in Sachen Justiz, Herr Schleck.
Nur ist es leider so, dass ich als normalsterblicher Bürger unserer DG nicht alle Institutionen jenseits vom Eupener Friedensgericht kenne, abgesehen von Dingen wie Staatsrat, Appellationshof und Kassationshof. Oder müssen wir das wirklich alles wissen was Sie wissen?
Aber wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dass es sich lediglich um irgend so einen Dorfrichter aus dem Busch handelt brauchen wir vermutlich eh nicht in Panik zu verfallen.
Von Herrn De Croe und seinen Mitarbeitern dürften solche Beamten wohl wirklich nicht allzu ernst genommen werden.
Was die Regierung De Croe dennoch daraus lernen kann ist ein echtes Pandemie-Gesetz vorzubereiten, damit solch ein Zirkus nicht wieder passiert.
Herr Marcel Scholzen Eimerscheid: da gebe ich Ihnen 150% Recht !!!
Nein, Herr Drescher, nicht jeder muss ein Spezialist in Verfassungs- und Prozessrecht sein. Das bin ich auch nicht.
Wer allerdings hier aus der Hüfte heraus Kommentare abgibt, sollte sich dennoch bemühen, bei den Fakten zu bleiben. Tut er das nicht, muss er sich gefallen lassen, berichtigt zu werden.
Nein, es war kein "Dorfrichter aus dem Busch", sondern ein Richter am Brüsseler Gericht Erster Instanz, der in einem Eilverfahren eine vorläufige Entscheidung getroffen hat, nicht mehr und nicht weniger.
Übrigens haben Urteile im belgischen Rechtswesen, anders als im angelsächsischen, keine Präzedenzwirkung, d.h. ein anderes Gericht kann durchaus zu einer anderen Entscheidung kommen, was der Staatsrat auch kürzlich noch getan hat in Sachen Verbot von Auslandsreisen.
Kleines Detail: Das Zwangsgeld wurde vom Richter auf maximal 200.000 € beschränkt. Ein lächerlicher Betrag...
Man muss allerdings feststellen, dass die Diskussion nicht neu ist. Die Regierung wäre gut beraten gewesen, beizeiten für eine solide gesetzliche Grundlage zu sorgen.
"Die Regierung wäre gut beraten gewesen, beizeiten für eine solide gesetzliche Grundlage zu sorgen."
Das entspricht auch meiner Einschätzung, weil sonst jeder kommen kann um Chaos zu machen.
Mit der Präzedenzwirkung wusste ich auch nicht. Das zeigt aber, dass eine solche EU, wo jedes Land nach Lust und Laune machen kann was es will, ein total gescheitertes Europa ist. Sämtliche Dinge wie Asylrecht, Strafrecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht, Umweltrecht, Justitzwesen und Krisenmanagemant sind auf Europäischer Ebene zu harmonisieren damit jedes Volk gleichberechtigt ist mit den selben Rechten und Pflichten ohne Racial Profiling oder andere Art von Diskriminierung und Ausnutzung.