"Draußen, draußen und nochmal draußen". Premierminister Alexander De Croo nimmt in letzter Zeit eigentlich nur noch die Rolle des Mahners ein. Während viele Parteipräsidenten oft nur noch über Lockerungen reden, versucht er allwöchentlich in der Kammer das Ganze wieder auf den Boden der epidemiologischen Tatsachen zurückzubringen.
So auch diesmal: "Wir wissen, dass Aktivitäten in Innenräumen mit wesentlich größeren Risiken verbunden sind als draußen. Deswegen arbeiten wir an einem 'Outdoor-Plan'".
"Draußen, draußen und nochmal draußen", eben. "Outdoor-Plan", in der Praxis wird das wohl bedeuten, dass man sich womöglich bald zu mehr als vier Personen unter freiem Himmel versammeln darf. Diese, nennen wir es mal, "Kontaktblase" könnte auf bis zu 8 Personen erweitert werden. Medienberichten zufolge könnte das aber erst ab dem 15. März greifen.
Genau diese Maßnahme lag auch schon in der vergangenen Woche auf dem Tisch des Konzertierungsausschusses. Denn, man erinnert sich: Am letzten Freitag war das Treffen der Vertreter aller Regierungen des Landes schon nach anderthalb Stunden vorbei. Man hatte sich entschieden, nicht zu entscheiden. Aus gutem Grund, denn die Zahlen wiesen zu dem Zeitpunkt in eine gefährliche Richtung: Eben am vergangenen Freitag mussten 200 Covid-Patienten in Krankenhäuser aufgenommen werden. Wäre es bei diesen Zahlen geblieben, dann war an Lockerungen nicht zu denken, eher im Gegenteil. Man musste also erst abwarten, ob sich dieser Trend bestätigt.
Das hat er nicht, das wissen wir jetzt. Zumindest nicht in dem Maße, wie man es Ende letzter Woche befürchten konnte. Wobei: Von einer Entwarnung kann eigentlich auch keine Rede sein. Nach neuesten Angaben von Sciensano mussten in der letzten Woche pro Tag 156 Covid-Patienten zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert werden, ein Anstieg um 23 Prozent. Immerhin hat die Zahl der Neuinfektionen aber anscheinend einen Höhepunkt erreicht und sollte ab morgen wieder sinken.
Ein durchwachsenes Bild also, und das macht die Sache denn auch so kompliziert. Die Zeitung De Morgen drückte es so aus: Wenn die Lage extrem schlecht oder richtig gut wäre, dann wäre die Entscheidung natürlich wesentlich einfacher. "Wir sind nach wie vor auf dem Plateau, auf dem wir uns schon seit Wochen befinden", konnte auch der Biostatistiker Geert Molenberghs in der VRT nur feststellen. Und das bedeutet: Wenn wir jetzt zu viele Maßnahmen lockern, dann kennt das Virus keine Gnade, dann wird es wieder an Kraft gewinnen:
Ein schmaler Grat also, auf dem sich die Regierungen des Landes bewegen müssen. Rein epidemiologisch betrachtet, sind die Spielräume sehr klein. Abgesehen von der "Kontaktblase" unter freiem Himmel gelten noch Lockerungen für das Unterrichtswesen als realistisch, insbesondere für die Sekundarschulen und die Unis, wo mehr Präsenzunterricht ermöglicht werden soll. "Wenn es nur nach mir ginge, dann hätte ohnehin das Unterrichtwesen absolute Priorität, sagte Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke in der RTBF.
"Doch fokussiert man sich hier nicht allzu sehr auf das reine Infektionsgeschehen und die Lage in den Krankenhäusern?", fragen sich heute auch mehrere Zeitungen. "Worauf sonst?", würden allen voran die Virologen und Epidemiologie erwidern. Nun, inzwischen liegen auch Zahlen einer Sciensano-Studie vor, die den psychischen Zustand der Belgier untersucht hat. Und das Ergebnis ist besorgniserregend, schlimmer wohl als so mancher es erwartet hätte.
Wie unter anderem Het Nieuwsblad berichtet, ist die Zahl der Menschen, die an Angstzuständen oder Depressionen leiden, stark gestiegen. Nur ein Beispiel: Fast die Hälfte der Jugendlichen zwischen 18 und 24 erlebt aktuell depressive Momente. Diese Zahl hat sich innerhalb von nur wenigen Monaten mehr oder weniger verdoppelt.
Diese Studie liegt auch auf dem Tisch des Konzertierungsausschusses, und sie macht den Seiltanz noch zittriger. Die Frage ist nicht mehr nur, was man tun muss, sondern auch, was man den Menschen noch zumuten kann. Entscheidend wird wohl sein, ob bzw. inwieweit der Konzertierungsausschuss am Freitag ganz konkrete Perspektiven geben kann...
Roger Pint