Egal, ob es um die Arbeit der Justiz, die Behandlung von Flüchtlingen, oder den Umgang mit Medien und Hochschulen geht - die Entwicklungen in dem osteuropäischen Land sind für viele beunruhigend. Das gilt auch für die EU-Parlamentarier. Denn es geht um mehr als nur vereinzelte Vorfälle.
Was Orbán in Ungarn nach Meinung vieler anstrebt, ist nichts weniger als seine ganz eigene, auf ihn und seine Partei zugeschnittene Staatsform. Eine "illiberale Demokratie", wenn man so möchte. Dass das schlecht mit den Grundwerten der Europäischen Union zusammenpasst, der das Nato-Mitglied Ungarn seit 2004 angehört, ist offensichtlich. Und wie beispielsweise auch Polen sieht sich Ungarn deswegen heftiger Kritik ausgesetzt. Nicht nur das, gegen das Land läuft sogar bereits ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel sieben der EU-Verträge.
Dieser Widerstand gegen seine Pläne passt Viktor Orbán natürlich nicht wirklich ins Konzept. Schon gar nicht, wenn er von der eigenen Mitte-Rechts-Fraktion in Europaparlament kommt. Auch in der Europäischen Volkspartei (EVP), der größten Fraktion im EU-Parlament, rumort es wegen Orbáns Verhalten schon eine ganze Weile. 2019 schon wurde deswegen die Fidesz-Partei als Vollmitglied der EVP suspendiert. Das war allerdings eher eine symbolische Handlung, denn die Arbeit der Fidesz-EU-Abgeordneten wurde dadurch in der Praxis kaum eingeschränkt. Für eine echte und effektive Suspendierung beziehungsweise einen Ausschluss bedurfte es nämlich einer Änderung der Geschäftsordnung - und zwar mit Zweidrittelmehrheit.
Orbán hatte bereits im Vorfeld angedeutet, dass seine Partei die EVP verlassen würde, wenn es zu einer entsprechenden Abstimmung kommen sollte. Aber die Abgeordneten zeigten sich unbeeindruckt und stimmten mit rund 84 Prozent für die neue Geschäftsordnung.
Das sei eine feindselige Handlung gegenüber Fidesz und den Wählern, tobte Orbán im Anschluss in einem Brief an den Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, den er auch öffentlichkeitswirksam bei Twitter veröffentlichen ließ. Außerdem undemokratisch, ungerecht und nicht hinnehmbar. Und deswegen ziehe er seine zwölf Abgeordneten mit sofortiger Wirkung aus der EVP zurück. Orbán wollte einem möglichen Rauswurf vermutlich zuvorkommen und so sein Gesicht in Anbetracht einer Niederlage wahren, die sich abzeichnete.
"Guter Tag für die EVP"
Zu den EVP-Abgeordneten, die die Anpassung der Geschäftsordnung unterstützten, gehören auch vier Belgier. Und die zeigten sich per Kommuniqué sehr zufrieden, Fidesz los zu sein. Pascal Arimont von der CSP bezeichnete den Ausgang als guten Tag für die EVP. Denn er befürworte schon seit vielen Jahren den Ausschluss der Partei Orbáns aus der EVP. Der ungarische Ministerpräsident arbeite systematisch daran, eine sogenannte illiberale Demokratie zu errichten und beschneide die Justiz und auch die Pressefreiheit in seinem Land.
Hinzu kämen Orbáns offene Sympathien mit europafeindlichen und rechtspopulistischen Parteien. Dass Fidesz nun nicht mehr Teil der EVP sei, sei logisch und ein längst überfälliger Schritt gewesen. Denn die Europäische Volkspartei sei eine bürgerliche, proeuropäische und rechtsstaatliche Kraft. Und mit diesen Prinzipien lassen sich Orbán und Fidesz nach Meinung von Arimont nicht in Einklang bringen.
Die flämischen Christdemokraten CD&V haben ebenfalls bereits seit Langem generell den Ausschluss von Parteien gefordert, die sich nicht an die Rechtsgrundsätze halten. Und für die CD&V-Europaabgeordnete Cindy Franssen ist das Vorgehen Orbáns in seinem Heimatland nichts anderes als ein organisierter Angriff auf die Unabhängigkeit der Richter und die freie Arbeit der Presse. Das seien Grundrechte, die für ihre Partei nicht verhandelbar seien, so Franssen.
Etwas diplomatischer drückte sich der CD&V-Abgeordnete Tom Vandenkendelaere aus. Die Probleme mit Orbáns Partei seien ja nicht neu gewesen. Und es sei dann doch besser, sich auf der Grundlage klarer Vereinbarungen zu trennen.
Auch der CDH-Europaparlamentarier Benoît Lutgen machte keinen Hehl daraus, dass Fidesz seiner Meinung nach seit Langem schon nichts mehr in der EVP verloren hatte. Das habe er im Übrigen bereits 2013 gefordert, als er noch Vorsitzender der Zentrumshumanisten gewesen sei - mit auch bereits damals der Unterstützung der CD&V. Es sei ein Kampf um die Rechtsstaatlichkeit. Und dem hätten sich seitdem viele der politischen Gruppen in der EVP angeschlossen. Insofern sei man jetzt einfach glücklich, diesen Kampf auch gewonnen zu haben, so Lutgen.
Boris Schmidt
Dieser Schritt dient doch mehr der Imagepflege als dem tatsächlichen Kampf gegen Extremisten. Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt... Und da will man gut aussehen.
Jede politische Partei funktioniert doch heutzutage nach dem Prinzip des "demokratischen Zentralismus" dh die Zentrale bestimmt und nicht eine Generalversammlung der Mitglieder. Orbán ist nur dumm genug, seine autoritären Neigungen offen zu zeigen. Da sind andere wesentlich schlauer, dh die meisten politischen Parteien. Die haben einen demokratischen Anstrich und in Wirklichkeit haben nur wenige das sagen.