Samstagabend um 23:30 Uhr in der Gemeinde Kapellen, nördlich von Antwerpen. Die Polizei wird an der Tür einer Privatwohnung vorstellig. Nachbarn hatten sich über laute Musik beschwert. Und tatsächlich: In der Wohnung feiern Jugendliche eine Party. Nichts Großes: Sieben Teenager, die bei lauter Musik ein Bierchen trinken. 14 bzw. 15 Jahre sind sie alt. Und doch belässt es die Polizei nicht bei einer Ermahnung oder einem Bußgeld. Vielmehr werden die Jugendlichen "einkassiert" und mit zur Wache genommen.
"Wir hatten uns dafür entschieden, den Sachverhalt sofort zu klären und die Jugendlichen gleich zu verhören", sagte Kristof Aerts, Sprecher der Antwerpener Staatsanwaltschaft, in der VRT. Die Jugendlichen hätten aber einen Anwalt hinzuziehen können. Dennoch: Minderjährige. Eine Nacht in Polizeigewahrsam. Und jeder musste einzeln zum Verhör. Das ist schon ein, sagen wir, entschlossenes Vorgehen.
"Aber, lassen sie mich klarstellen", sagt Sprecher Kristof Aerts, "entgegen diverser Medienberichte haben die Jugendlichen nicht in einer Arrestzelle gesessen, sondern haben auf der Wache auf ihr Verhör gewartet". Außerdem habe man ihnen Essen und Trinken bereitgestellt. Und auch mit ihren Eltern durften sie Kontakt haben.
Das war aber immer noch nicht alles. Am Sonntagmorgen wurden die Jugendlichen zum Antwerpener Justizpalast gebracht, wo sie einem Jugendrichter vorgeführt wurden. Dort mussten sie dann doch in einer sogenannten Durchgangszelle auf ihre Anhörung warten. Sie hätten sich die Zelle aber nicht mit Erwachsenen teilen müssen, unterstreicht der Sprecher. Erst am Sonntagabend konnten die letzten der Jugendlichen endlich nach Hause. Und verurteilt wurden sie auch noch: zu Hausarrest und Arbeitsstrafen.
Das war also, man könnte sagen, das "volle Programm". Und das bei Jugendlichen, die offensichtlich von Anfang an kooperiert hatten, also nicht ausfällig wurden und auch keine "Wiederholungstäter" waren.
Traumatisierende Erfahrung
"Das Ganze ist völlig inakzeptabel", wetterte in der VRT Kris Luyckx, der Anwalt einer Familie. Die Jugendlichen seien regelrecht traumatisiert, vor allem die Mädchen. Da sind sehr viele Tränen geflossen. Vor einem solch unverhältnismäßigen Auftreten der Behörden sollte man unsere Jugend eigentlich schützen.
So reagierten auch diverse Politiker im Norden des Landes. "Das sind Teenager, die schon ein Jahr lang in einem perspektivlosen Lockdown sitzen, und keine Kriminellen", schrieb etwa die flämische N-VA-Ministerin Zuhal Demir auf Twitter. "Total übertrieben, unverhältnismäßig, unangemessen und traumatisierend!", donnerte auch die Groen-Vorsitzende Meyrem Almaci.
Justizminister Vincent Van Quickenborne nahm seinerseits die Polizei und die Justiz in Schutz. Hier ging es doch um eine Lockdown-Party. Noch im Dezember waren wir uns alle einig, dass so etwas nicht toleriert werden darf. Und für Minderjährige gilt eben, dass sie einem Jugendrichter vorgeführt werden müssen. Der Rest liege im Ermessen der Staatsanwaltschaften, sagt Van Quickenborne. Im vorliegenden Fall habe die Antwerpener Justiz entschieden, die Vorgaben strikt umzusetzen. Er könne aber verstehen, dass das für die Jugendlichen eine traumatisierende Erfahrung gewesen sei.
Dennoch: Hier geht es um Minderjährige, unterstrich in der RTBF auch noch einmal Bernard De Vos, der Delegierte für Kinderrechte in der Französischen Gemeinschaft. Die Polizei sei sich offensichtlich nicht immer dessen bewusst, wie traumatisierend so etwas auf Kinder wirkt: eine Festnahme, sogar ein Aufenthalt in einer Zelle. Das sei einfach nur beängstigend.
Diese Geschichte befeuert jedenfalls weiter die Diskussion über die Rechtmäßigkeit bzw. die Verhältnismäßigkeit der Corona-Regeln. Wie es auch schon einige Zeitungen schrieben: Es wird wirklich Zeit für ein Pandemie-Gesetz, das diesen Namen verdient.
Roger Pint