Erstmal ist es der Konflikt zwischen der Geschäftsführerin eines Staatsbetriebs und ihrem Aufsichtsminister. Die Geschichte hat aber auch eine politische Dimension, die diesen Streit übersteigt: Es haben sich nämlich bei der Gelegenheit auch erste Risse in der Regierungskoalition offenbart.
Aber von vorn. Anfang vergangener Woche hatte die Nationale Eisenbahngesellschaft für ein kleines Erdbeben gesorgt. Die SNCB gab bekannt, dass in 44 der 135 Bahnhöfe die Fahrkartenschalter geschlossen würden. Stattdessen sollten die Bahnreisenden ihre Tickets am Automaten ziehen oder über ihr Smartphone buchen. Bei den Gewerkschaften, aber auch bei Politikern, vor allem aus ländlichen Regionen, sorgte die Ankündigung für einen Sturm der Entrüstung. Erst hatte der föderale Mobilitätsminister Georges Gilkinet die Entscheidung noch mitgetragen; er habe allerdings auf "Garantien" gepocht. Später sah sich der Ecolo-Politiker dann aber doch genötigt, sich schriftlich an SNCB-Chefin Sophie Dutordoir zu wenden, um sie aufzurufen, die Entscheidung nochmal zu überdenken.
Sophie Dutordoir reagierte aber ebenso prompt wie ruppig. Buchstäblich postwendend antwortete sie dem Minister ebenfalls per Brief, der auch der Presse zugespielt wurde. Darin zeigt sich die Bahnchefin "erstaunt" über den Meinungsumschwung des Ministers, weil der sich den Schließungsplänen nie widersetzt habe. Und das sei für sie doch ein Vertrauensbruch.
"Meinungsumschwung", "Vertrauensbruch", das sind natürlich starke Worte. Kurz nach Bekanntwerden des Briefes musste sich Georges Gilkinet am Donnerstag dann auch noch in der Kammer den Fragen der Abgeordneten stellen. Zwölf an der Zahl waren es - und die meisten von ihnen waren doch sehr giftig.
François De Smet von der Oppositionspartei Défi etwa legte mit einer beißenden Formulierung den Finger in die Wunde: "Welche Vision kann ein Mobilitätsminister noch haben, wenn er vier Monate nach seinem Amtsantritt schon das Vertrauen der SNCB-Chefin verloren hat?"
Unter den Fragestellern waren aber auch zahlreiche Abgeordnete der Mehrheit. Und, Koalition hin oder her, auch die übten scharfe Kritik an dem grünen Mobilitätsminister. "Hatten wir uns nicht gemeinsam vorgenommen, die SNCB wiederaufzurichten?", sagte die PS-Parlamentarierin Mélissa Hanus. "Wir wollen eine maximale Dienstleistung."
Georges Gilkinet blieb aber bei dem, was auch schon in seinem Brief stand: Er habe der SNCB-Führung mitgeteilt, dass er die Pläne hinsichtlich der Schließung neuer Fahrkartenschalter nicht uneingeschränkt gutheiße. Dennoch habe der Verwaltungsrat das Vorhaben einstimmig abgesegnet. Und, nur zur Verdeutlichung, sagte Gilkinet: Im SNCB-Verwaltungsrat sitzen Vertreter vieler Parteien, die diese Entscheidung jetzt hier anprangern.
Tatsächlich sind die Sozialisten, Liberalen und Christdemokraten, und auch die in der Kammer oppositionelle N-VA im SNCB-Verwaltungsrat vertreten. Die Grünen übrigens nicht, wie Gilkinet betont.
Und, noch etwas: Der Geschäftsführungsvertrag der SNCB stamme aus dem Jahr 2008. Und der enthalte keinerlei Auflagen, die regeln würden, was den Bahnkunden in den Bahnhöfen bereitgestellt werden muss. Insofern könne er manchmal nicht anders, als den SNCB-Verantwortlichen schriftlich mitzuteilen, dass er nicht einverstanden ist, sagte Gilkinet.
Einige Abgeordnete glaubten ihm diese Version nicht. "Sie wussten von der Entscheidung, und Sie haben sie durchgewunken", sagte etwa die CDH-Fraktionsvorsitzende Catherine Fonck. Und auch der MR-Abgeordnete Emmanuel Burton war nicht überzeugt: "Nach diesen Irrungen und Wirrungen wird sich so mancher betrogen fühlen".
Wenn's auch in ein Zitat aus einem Text von Georges Brassens verpackt war, so stand da doch zwischen den Zeilen, dass auch die MR dem Koalitionspartner nur bedingt glaubt. Kritik von PS und MR an einem Ecolo-Minister: Friede, Freude, Eierkuchen, das sähe wohl anders aus.
Anscheinend haben sich Georges Gilkinet und SNCB-Chefin Sophie Dutordoir aber anscheinend immerhin wieder zusammenraufen können. Beide haben gemeinsam einen Kompromissvorschlag ausgearbeitet. Zwar dürfte es demnach bei der eigentlichen Entscheidung bleiben, zugleich solle aber die Beibehaltung einer gewissen "menschlichen Präsenz" in den betroffenen Bahnhöfen garantiert werden.
Roger Pint