Der Grund, warum das Dossier Schulschließungen überhaupt wieder auf dem Tisch gelandet ist, liegt auf der Hand: Es werden quasi täglich neue Corona-Ausbrüche in Bildungseinrichtungen gemeldet. Noch ist das ein vorrangig flämisches Phänomen. Aber bekanntermaßen schert sich das Virus nicht um die Sprachgrenzen. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis das wieder zu einem landesweiten Problem wird. Bis dahin – Belgien ist ja schließlich immer noch Belgien und das Unterrichtswesen eine Zuständigkeit der Gemeinschaften – werden also lokal Gegenmaßnahmen ergriffen und, was eine mögliche Koordination oder Harmonisierung angeht, heftig zwischen den Verantwortlichen diskutiert.
Aber das ist primär eine politische Debatte. Was sagt also eigentlich die Wissenschaft dazu? Die neuesten Zahlen des Instituts für Volksgesundheit (Sciensano) scheinen da zunächst eine relativ eindeutige Sprache zu sprechen. Die größte Zunahme bei den Ansteckungen sei bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen, teilte der Virologe Steven Van Gucht bei der Pressekonferenz des Nationalen Krisenzentrums am Dienstag mit.
Mehr Tests, mehr Fälle
Respektive 84 Prozent und 18 Prozent mehr Corona-Fälle sind in diesen Altersgruppen bestätigt worden. Oder anders gesagt: Fast jede fünfte Infektion wird bei Kindern und Jugendlichen festgestellt. Das sind Zahlen, die ohne mehr Kontext erst einmal furchterregend klingen. Und diesen Kontext gibt es zumindest zum Teil. Aufgrund der vermehrten Ausbrüche in Schulen wird dort massiv getestet, wie Yves Van Laethem vom Krisenzentrum erklärte.
Bei diesem Testen ist man wesentlich weniger zimperlich als bisher, wie Van Gucht in der VRT ausführte. Sobald der Verdacht bestehe, dass es an einer Schule einen Corona-Fall gebe, werde schnell sehr breit getestet. Manchmal würde direkt die gesamte Schule, also alle Kinder getestet. Und wenn viel mehr Kinder als vorher getestet werden, ist die logische Folge, dass deren Fälle stark ansteigen.
Wenn man sich aber die Zahl und Größe der Corona-Ausbrüche an Schulen ansehe, dann stelle man fest, dass das noch immer vergleichbar sei mit der Situation beispielsweise zu Anfang Dezember. Es gebe also aktuell nicht abnormal mehr Ausbrüche, betonte Van Gucht. Man teste einfach mehr und deswegen finde man mehr Fälle.
Karine Moykens, Präsidentin des Interföderalen Komitees Tests und Tracing, wies bei der Pressekonferenz des Krisenzentrums auch darauf hin, dass die Variante B117, besser bekannt als die "britische" Variante, in allen Altersgruppen ansteckender sei. Dazu gehörten auch Kinder, aber eben nicht nur diese. Bisher seien Primarschüler als Niedrigrisikokontakte betrachtet worden. Aufgrund der höheren Infektiosität der neuen Variante würden nun aber die Kinder, die sich in der Nähe eines infizierten Mitschülers aufgehalten hätten, als Hochrisikokontakte klassifiziert und entsprechend getestet, so Moykens.
Auch andere Gesundheitsexperten sehen das Unterrichtswesen zumindest nach jetzigem Stand eher nicht als herausstechenden epidemiologischen Risikofaktor, den man umgehend ausschalten muss. Insbesondere nicht angesichts der sozialen und bildungstechnischen Folgen. Die Virologin Erika Vlieghe, Vorsitzende der Corona-Expertengruppe GEMS, etwa beharrt darauf, dass man um jeden Preis vermeiden müsse, alle Schulen zu schließen. Das seien Maßnahmen, die lokal und zeitweise angewandt werden sollten oder wenn ansteckendere Virus-Varianten auftauchen sollten.
Eine Auffassung, die auch der Epidemiologe Yves Coppieters teilt. Beide stimmen in der Zeitung Le Soir mit dem Spezialisten für Kinderinfektiologie Pierre Smeesters überein. Und laut Smeesters ist die neue Variante zwar ansteckender, aber die proportionale Infektiosität bezogen auf die Altersgruppen bliebe die gleiche. Und die sage: Kinder sind weniger ansteckend als Jugendliche, die wiederum weniger ansteckend als Erwachsene sind.
Vandenbroucke fordert Bericht beim Corona-Kommissariat an
Der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke (SP.A) hat das Coronavirus-Kommissariat der Föderalregierung damit beauftragt, einen Lagebericht über die Lage in den Schulen anzufertigen. Das teilte er vor dem Kammerausschuss für Volksgesundheit mit.
Sobald er diesen Bericht erhalte, werde er ihn seinen Kollegen zukommen lassen, versprach Vandenbroucke. Das Kommissariat werde darin auch Daten aus den durchgeführten Corona-Tests an den Schulen und über die Entwicklung der Infektionscluster einfließen lassen.
Der Gesundheitsminister bestätigte außerdem, dass es Hinweise darauf gebe, dass die Rolle von Kindern bei der Übertragung des Virus größer sein könnte, als man bisher geglaubt habe. Zur Frage, ob und falls ja welche Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus in den Schulen geplant seien, wollte sich Vandenbroucke nicht äußern.
Für Donnerstag ist ein Treffen der verschiedenen Ebenen des Landes angesetzt, in dem es um Kinder und Jugendliche im Kontext der Corona-Krise gehen soll. Vandenbroucke wies in diesem Zusammenhang allerdings den von manchen Medien verwendeten Begriff "Sonder-Konzertierungsausschuss" zurück. Es werde ein informelles Treffen sein, betonte der Gesundheitsminister. Dabei werde man versuchen, die Lage zu erörtern auf Basis der auf den aktuellen Stand gebrachten Analysen des Corona-Kommissariats.
Van Gucht: Jede fünfte Corona-Infektion betrifft Kinder und Jugendliche
Boris Schmidt
Eigentlich ist es doch so mehrere Menschen in einem geschlossenen Raum über einen längeren Zeitraum ist die Verbreitung vorprogrammiert
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Wer schützt das Lehrpersonal, wenn Primarschüler keine Mund- und Nasenbedeckung tragen müssen und Lehrer/-innen bei den Impfungen nicht bevorzugt werden?